Ehrung für S-Bahn-Opfer: Volkstrauer per Seite eins
Dominik Brunner wurde posthum das Bundesverdienstkreuz verliehen. Das ehrt auch all jene, die weggeschaut haben, als der Münchner zu Tode geprügelt wurde.
Dominik Brunner zeigte Gerechtigkeitsempfinden. Er bewies Mut, als er am 12. September auf dem S-Bahnhof in München-Solln vier Schüler vor einem Raubüberfall von zwei jungen Männern schützen wollte - und sein Leben opfern musste, als die beiden ihn dabei zu Tode prügelten. Nun hat am Wochenende Bundespräsident Horst Köhler den "S-Bahn-Helden" mit dem Verdienstkreuz 1. Klasse des Verdienstordens der Bundesrepublik Deutschland ausgezeichnet, im Volksmund auch besser bekannt als Bundesverdienstkreuz. Ein an sich ehrenwertes Ansinnen. Und doch hinterlässt diese Auszeichnung einen faden Beigeschmack.
Die Bild rühmt sich damit, dass sie es war, die überhaupt erst den Anstoß für diese Ehrung geliefert hat. Mehr als 27.000 Menschen hätten eine Online-Petition unterzeichnet, mit der das Springer-Blatt auf ihrer Seite 1 die LeserInnen aufgefordert hatte, Brunner das Bundesverdienstkreuz zu verleihen. "Das Drängen der Öffentlichkeit zeigt Erfolg", rühmt sich nun das Boulevardblatt und suggeriert, dass der Köhler erst nach ihrer Kampagne die Ehrung in Betracht gezogen habe. Der Bundespräsident - nur noch ein Vollzugsorgan der Bild?
Nun lässt sich nicht mehr genau rekonstruieren, inwiefern der Bundespräsident die Ehrung nicht auch ohne Springer-Kampagne auf dem Schirm hatte. Und was ist daran verwerflich, wenn die Bild mal ausnahmsweise einen Mordfall nicht nur sensationsheischend boulevardesk aufgreift, sondern mit dem Anliegen verbindet, sich gegen eine zunehmende Kultur des Wegschauens und für mehr Zivilcourage zu engagieren?
Ordensrechtlich gibt es an der Nominierung durch die Bild auch nichts zu beanstanden. Denn in der Tat kann jeder die Auszeichnung eines anderen anregen, indem er sich an die Staatskanzlei des jeweiligen Landes wendet, in dem der Vorgeschlagene seinen Wohnsitz hat. Die Bild-Zeitung hat eben den Weg ihrer Seite 1 gewählt. Was aber nicht nur formal viel schwerer wiegt, ist eher die Frage, wie jemand geehrt werden kann, wenn er gar nicht mehr lebt.
Die ordensrechtlichen Bestimmungen geben auf diese Frage zu Recht eine klare Antwort. 1951 vom damaligen Bundespräsidenten Theodor Heuss erstmals gestiftet, wird das Bundesverdienstkreuz eigentlich verliehen "für Leistungen, die im Bereich der politischen, der wirtschaftlich-sozialen und der geistigen Arbeit dem Wiederaufbau des Vaterlandes dienten". Zudem soll der Orden laut Satzung "eine Auszeichnung all derer bedeuten, deren Wirken zum friedlichen Aufstieg der Bundesrepublik Deutschland beiträgt" - die Ehrung ist an das Künftige gerichtet. Die Verleihung des Bundesverdienstkreuzes nach dem Tod war also gar nicht vorgesehen.
Bundespräsident Walter Scheel machte 1977 zum ersten Mal eine Ausnahme, als er posthum Jürgen Schumann auszeichnete, den Piloten der entführten Lufthansa-Maschine "Landshut", die im Zusammenhang mit der RAF und dem Deutschen Herbst stand. Johannes Rau wiederum ehrte 2004 Gabriele Heitmann nach ihrem Tod für ihr familienpolitisches Engagement. Sie war Gründungsmitglied des Verbands allein erziehender Mütter und Väter.
Zumindest im Fall des "Landshut"-Piloten Schumann liegt ebenso wie nun aktuell bei Dominik Brunner der Verdacht nahe, dass der Ausnahmefall - also eine posthume Würdigung - vor allem dann angewandt wird, wenn es um ein hochemotionalisiertes Thema geht, das momentan die Gemüter erregt. Und in der Tat: Köhler versteht die Auszeichnung "als Zeichen der Dankbarkeit aller mitfühlenden Menschen in Deutschland, für die Menschlichkeit, die Hilfsbereitschaft und die Zivilcourage, die Dominik Brunner selbstlos zeigte, als er erkannte, dass andere Menschen in Not waren". Köhler gibt also zu, dass er nicht nur Brunner ehrt, sondern auch die Tausende, die nach dem tödlichen Überfall öffentlich ihre Trauer bekundeten - verschweigt dabei aber zugleich die vielen Augenzeugen, die ebenfalls am Bahngleis standen, aber nicht eingriffen. Und es auch in Zukunft nicht tun werden.
Taugt das Bundesverdienstkreuz als Mittel zur Reinigung des Volksgewissens? Nicht wirklich. Helden sehen anders aus.
taz lesen kann jede:r
Als Genossenschaft gehören wir unseren Leser:innen. Und unser Journalismus ist nicht nur 100 % konzernfrei, sondern auch kostenfrei zugänglich. Texte, die es nicht allen recht machen und Stimmen, die man woanders nicht hört – immer aus Überzeugung und hier auf taz.de ohne Paywall. Unsere Leser:innen müssen nichts bezahlen, wissen aber, dass guter, kritischer Journalismus nicht aus dem Nichts entsteht. Dafür sind wir sehr dankbar. Damit wir auch morgen noch unseren Journalismus machen können, brauchen wir mehr Unterstützung. Unser nächstes Ziel: 40.000 – und mit Ihrer Beteiligung können wir es schaffen. Setzen Sie ein Zeichen für die taz und für die Zukunft unseres Journalismus. Mit nur 5,- Euro sind Sie dabei! Jetzt unterstützen
meistkommentiert
Anschlag in Magdeburg
Vorsicht mit psychopathologischen Deutungen
Kochen für die Familie
Gegessen wird, was auf den Tisch kommt
Angriffe auf Neonazis in Budapest
Ungarn liefert weiteres Mitglied um Lina E. aus
Insolventer Flugtaxi-Entwickler
Lilium findet doch noch Käufer
Polizeigewalt gegen Geflüchtete
An der Hamburger Hafenkante sitzt die Dienstwaffe locker
Lohneinbußen für Volkswagen-Manager
Der Witz des VW-Vorstands