Ehemaliger Warschauer Ghetto-Kommandeur: SS-Mann klagt wegen "Ehrverletzung"

Er will ein Buch verbieten lassen, das seine Exgeliebte geschrieben hat. Dabei kommt der 93-Jährige Erich Steidtmann darin gut weg. Vor Gericht wehrt er sich mit hanebüchenen Äußerungen.

Warschauer Ghetto, Mai 1943: Erich Steidtmann, 4. von rechts, ist um seinen Ruf besorgt. Bild: dpa

Die Autobiografie der Sudetendeutschen Lisl Urban hätte als widerspruchsvolles Zeitgemälde des 20. Jahrhunderts in die zweite Auflage gehen können. Doch in den Lebenserinnerungen kommt ein Hauptmann namens Eike vor und eigentlich ziemlich gut weg. Es handelt sich um den mittlerweile fast 93-jährigen ehemaligen SS-Hauptsturmführer Erich Steidtmann. Er las die ihn betreffenden Passagen ganz anders und klagt jetzt gegen die Autorin und den kleinen Dingsda-Verlag in Querfurt wegen Verletzung der Persönlichkeitsrechte, Beleidigung und Verleumdung.

"Die Wahrung meiner Berufsehre ist mir ein unabdingbares Grundbedürfnis", schreibt der Altnazi in seiner Strafanzeige, mit der er das Buch verbieten lassen will. Am Dienstag fand die Verhandlung am Landgericht in Leipzig statt.

Das Gericht ließ erkennen, dass es kaum Belege für beleidigende Äußerungen und Ehrverletzungen sieht. Das Urteil wird erst im Dezember verkündet, doch Verleger Joachim Jahns zeigte sich nach der Verhandlung zuversichtlich. Der unbefangene Leser des ersten Teils der Trilogie "Ein ganz gewöhnliches Leben" kann jenen Eike in der Tat als positive Figur wahrnehmen. Die Autorin erzählt in bilderreicher Sprache ihre Lebenserinnerungen. Sie kaschiert nicht ihre Begeisterung für Hitler, für einen SS-Offizier, den sie heiratet und der sie als Bürokraft bis in die Prager Gestapo-Zentrale führt. Sie erlebt aber bewusst auch schon die Übergriffe auf Juden und Tschechen und deutsche Kulturbarbarei. Die Ehe wird 1942 geschieden.

Bald darauf verliebt sie sich in einen Hauptmann, jenen "Eike", der von der russischen Front kommt. Sie wird von ihm schwanger. Geschildert wird er im Buch stets aus der Perspektive einer leidenschaftlich Verliebten. Der Leser erfährt nicht mal etwas von seiner SS-Mitgliedschaft, nichts davon, dass er die äußere Absperrung des Warschauer Ghettos befehligte, an der Niederschlagung eines Aufstandes von 400 deutschen Deserteuren beteiligt war. Geradezu Sympathie heischend erscheint der Vorgang, der zum Bruch der Beziehung führte. In der Version der Autorin soll Eike versucht haben, zwei polnische Mädchen vor der Deportation zu retten und wurde deshalb des Verkehrs mit Juden und Polen beschuldigt. Schließlich habe er eine der Polinnen geheiratet.

In seiner selbstverfassten Klage wird Steidtmann alias Eike nun selbst beleidigend. Darin stehen Sätze wie "Männer genießen Flittchen, heiraten sie aber nicht" und "Das Ghetto war kein Objekt für Gaffer und sadistische Genießer, schon gar nicht für Romanschreiberinnen". Am wichtigsten ist ihm aber immer wieder der Schutz seiner Ehre, deren Schutz auch "nach Ende des aktiven Dienstes vom Staat garantiert sein sollte". So empfindet er die Behauptung bereits als ehrenrührig, er habe sein Eisernes Kreuz im Partisanenkampf erhalten, ebenso die angebliche Urkundenfälschung zur Rettung der Polinnen. Steidtmann bestreitet seine Mitgliedschaft in der NSDAP und dass er freiwillig in die SS eingetreten sei.

Recherchiert hat auch der beklagte Verleger Jahns über Steidtmann, der erst mit seiner Beschwerde erneut auf sich aufmerksam gemacht hat. Jahns vermutet, dass Steidtmann so allergisch reagiert, da möglicherweise erneut nach seiner Beteiligung an Kriegsverbrechen und Liquidationen im Warschauer Ghetto gefragt werden könnte. 1945 war er dank seiner polnischen Frau von der polnischen Militäradministration rehabilitiert worden und trat in den Polizeidienst in Sachsen-Anhalt und später in Hannover ein.

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