Ehemalige Kita-Praktikantin klagt gegen Arbeitsbedingungen - und verliert: Praktikantin scheitert vor Gericht
Agnes M. klagte, weil sie in ihrem Kita-Praktikum wie eine Vollzeitkraft arbeiten sollte. Doch die Richterin ließ sich davon nicht überzeugen. Die Unterstützung von Kollegen blieb aus.
"Generation Praktikum" gilt als Synonym für junge, billige, flexibel einsetzbare Arbeitskräfte. Dem wollte Agnes M. nicht entsprechen: Die 23-jährige Berlinerin zog vor das Arbeitsgericht, um ihre Rechte als Praktikantin durchzusetzen. Ohne Erfolg: Das Gericht wies ihre Klage Ende Januar ab.
Drei Monate hatte Agnes M. in der Weddinger Kita "Omas Garten" gearbeitet. Offiziell als Praktikantin, doch in Wirklichkeit sei sie wie eine Festangestellte eingesetzt worden, berichtet sie. "Mein Arbeitstag begann um 8 Uhr und endete in der Regel nicht vor 16.30 Uhr." Sie habe oft allein 23 Kinder betreuen müssen. Das gemeinsame Essen mit den Kindern sei ihre einzige Mittagspause gewesen.
Für ihre Tätigkeit habe sie im Monat 400 Euro erhalten, erzählt Agnes M.. Als sie dann immer öfter auch noch am Samstag arbeiten sollte, begann sie sich zu wehren. Sie beschwerte sich bei der Kita-Chefin. Die habe gesagt: Alle, die ihren Job behalten wollen, müssen am Samstag da sein. Agnes M. fehlte - und wurde am folgenden Wochentag entlassen.
Die junge Frau informierte sich über ihre Rechte. Im Freundeskreis gab es AktivistInnen der anarchosyndikalistischen Freien ArbeiterInnen Union (FAU). M. entschloss sich, vor dem Arbeitsgericht den für ErzieherInnen üblichen Branchenlohn einzuklagen. "Wenn ich wie eine Vollzeitarbeitskraft arbeite, will ich auch so bezahlt werden", begründet M. ihren Schritt. Ermutigt wurde sie durch einige bereits erfolgreiche Klagen von PraktikantInnen, denen der Lohn einer regulären Arbeitskraft nachgezahlt werden musste.
Doch das Arbeitsgericht wies die Klage ab. M. habe nicht lückenlos nachweisen können, dass sie das Aufgabenprofil einer Erzieherin vollständig erfüllt habe, begründete die zuständige Richterin Andrea Baer ihre Entscheidung. Für Prozessbeobachter Jürgen Huber von der FAU ein unverständliches Urteil: "Damit sitzen PraktikantInnen immer am kürzeren Hebel. Denn der Nachweis ihrer Tätigkeit ist vor Gericht kaum möglich."
KollegInnen, die die Angaben von M. vor Gericht hätten bestätigen können, gab es nicht. Zwei Frauen hätten sich zurückgezogen, als sie von dem Prozess erfuhren, berichtet M.
Von der Kita wollte sich gegenüber der taz niemand zu Agnes M. und ihren Vorwürfen äußern. Auch beim Bezirksamt Wedding war niemand zu einer Stellungnahme bereit. Es handele sich bei der Kita um eine private Einrichtung, so die Begründung.
Ver.di-Bundesjugendsekretär Ringo Bischoff erklärte, dass sich bisher nur wenige PraktikantInnen gegen ihre Arbeitsbedingungen wehrten. Viele glaubten, dass jeder Job besser sei als Arbeitslosigkeit. Bischoff betonte, dass sich die Gewerkschaft für die gesetzliche Besserstellung von PraktikantInnen einsetze, aber auch individuelle Klagen ausdrücklich unterstütze.
Bei der Kita "Omas Garten" seien Gewerkschaften kein Thema gewesen, betont M. An ihrer neuen Arbeitsstelle sieht das anders aus: Seit einiger Zeit ist M. bei den "Ambulanten Diensten" als Vollzeitkraft beschäftigt. Dort gibt es nicht nur einen Betriebsrat, sondern auch aktive Mitglieder von Ver.di und der FAU. In die ArbeiterInnen-Union ist sie mittlerweile eingetreten.
In Berufung will M. nicht gehen. Da sie keine Prozesskostenbeihilfe bekommt, muss sie nach dem verlorenen Verfahren in der ersten Instanz ihren Rechtsanwalt selbst bezahlen. Weitere juristische Schritte könne sie sich nicht leisten. Im Nachhinein sagt sie: "Es wäre sinnvoller gewesen, sich vorher mit den KollegInnen zu verständigen. Schließlich müssten auch Festangestellte das Interesse haben, nicht durch billigere PraktikantInnen ersetzt zu werden." PETER NOWAK
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