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EditorialPost für den BGH

Von unserer Redaktion

Da hat sich das Landgericht Stuttgart alle Mühe gegeben, so penibel wie nur möglich zu arbeiten – und am Ende steht ein Urteil, mit dem niemand zufrieden ist. Nach 44 Verhandlungstagen, 80 befragten Zeug:innen und 2.200 verlesenen Aktenseiten im Prozess gegen „Querdenken“-Gründer Michael Ballweg wollen sowohl der Angeklagte als auch die Staatsanwaltschaft in Revision gehen. Laut mündlicher Urteilsbegründung konnten Ballweg weder betrügerische Absichten, noch die zweckwidrige Verwendung von Spendengeldern und Schenkungen nachgewiesen werden. So blieb es am Ende bei einer Verwarnung, da im Wesentlichen nur eine Hundematte und ein Parfüm übrig waren, die Ballweg als Firmenausgabe abgerechnet hat. Dadurch entstand dem Gericht zufolge ein Steuerschaden von 19,53 Euro. Die Hundematte habe aber in Ballwegs Büro gelegen, betont sein Rechtsanwalt, der CDU-Landtagsabgeordnete Reinhard Löffler (Kontext berichtete).

Die Staatsanwaltschaft scheint zu hoffen, dass der Bundesgerichtshof (BGH) zu einer anderen Beurteilung kommt, wie Ballwegs Absichten beim Einwerben von Geldern ausgesehen haben. Ob der Fall dort aber überhaupt verhandelt wird, ist fraglich: Weil nicht jeder Rechtsstreit durch alle Instanzen gehen soll, gibt es hohe Hürden. Die Kontext-Redaktion weiß das, weil sie selbst vor dem BGH verhandeln will und erst kürzlich eine Beschwerde eingereicht hat. Denn nach einer jahrelangen Auseinandersetzung gegen einen Neonazi, der für AfD-Abgeordnete gearbeitet hat, wollen wir ein Urteil des Oberlandesgerichts Frankfurt so nicht stehen lassen – gerade weil der Fall grundsätzliche Bedeutung hat und die Begründung aus Frankfurt aus Sicht der Redaktion den Quellenschutz untergräbt. Bis eine Entscheidung steht, ob der BGH den Fall annimmt und wann verhandelt wird, dauert es allerdings noch einige Monate. Zuerst einmal hat nun die Gegenseite Zeit für eine Erwiderung.

Langjährige Gerichtsverfahren zu führen, ist nicht nur zweitaufwendig und nervenraubend, sondern auch sehr teuer. Kontext drohen wegen zweier Texte über einen Neonazi aus dem Jahr 2018 mittlerweile Kosten im unteren sechsstelligen Bereich für den Fall, dass wir verlieren. Aus ökonomischer Sicht muss Journalismus also überlegen, ob er solche Risiken eingehen will. Dass wir es uns leisten können, nicht klein beizugeben, liegt an der überwältigenden Unterstützung aus der Community: Bei einer Spendenkampagne kam so viel Geld zusammen, dass die Kasse für eine weitere Instanz gefüllt ist. Außerdem können wir einen Recherchepool finanzieren, der äußerst rechten Strukturen in Baden-Württemberg auf den Zahn fühlen will. Auf ironische Weise sorgt der Angriff auf unsere Berichterstattung somit dafür, dass wir umso mehr berichten können. Veröffentlichungen im Wochentakt werden dazu ab November erfolgen.

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