piwik no script img

EditorialDer vierrädrige Freund

Die Stuttgarter CDU freut sich über das schlechte Europawahl-Ergebnis der Grünen. Foto: Joachim E. Röttgers

Von unserer Redaktion↓

Im Postfach der Redaktion warnt eine Mail vor Hitzerekorden im Sommer. So weit,so langweilig. Doch die Anschlussfrage ist originell: „Haben Sie Ihren vierrädrigen Freund schon überprüft, um der sengenden Sonne zu widerstehen?“ Es folgen also keine Ratschläge zum Einsparen von Emissionen, sondern Wartungs-tipps, wie der motorisierte Untersatz auch bei Wüstenwetter fahrtüchtig bleibt. Passend dazu machen zwei Nachrichten fast zeitgleich die Runde: Am 7. Juni hatte es in Aswan, Ägypten 50,9 Grad –die heißeste Temperatur die in einem Juni je in Afrika gemessen wurde. Parallel dazu meldet die dpa: „Das Treibhausgas Kohlendioxid sammelt sich neuen Daten zufolge in der Atmosphäre schneller an als je zuvor.“

Es gab vor nicht allzu langerZeit Wahlen, die durch die eskalierende Klimakrise ent-schieden wurden. 2019, beflü-gelt durch die Fridays-for-Future-Proteste, waren die Grünen bei der Europawahl mit Abstand die beliebteste Partei unter Jung­wäh­le­r:in­nen mit 33 Prozent. Also zack, los, Aufbruch? Fünf Jahre später folgt der Absturz auf nur noch elf Prozent, Menschen unter 24 bevorzugen jetzt AfD und CDU (jeweils 17 Prozent). In Baden-Württembergs Landeshauptstadt hat die Union mit dem Slogan „Stuttgart, lass Dir das Auto nicht verbieten“ geworben und ist – wenn auch mit knappem Vorsprung – zur stärksten Kraft im neuen Gemeinderat geworden. Mehr noch als über das eigene Ergebnis freuten sich die Christ­de­mo­kra­t:in­nenaber über das schlechte Abschneiden der Grünen auf europäischer Ebene, hat unsere Autorin Johanna Henkel-Waidhofer bei der Wahlparty im Rathaus beobachtet.

Ebenfalls lohnenswert ist der Blick ins italienische Salento, wo nur noch ein Prozent des Landes bewaldet ist. Hier möchte Sportwagenhersteller Porsche die Axt anlegen, um eine Teststrecke zu erweitern. Erlaubt ist das aber nur, wenn ein Nutzen fürs Gemeinwohl entsteht – und bislang ist die EU-Kommission nicht überzeugt, dass ein in Aussicht gestellter Hubschrauberlandeplatz als Begründung ausreicht. Dietrich Heißenbüttel berichtet über die Proteste gegen die Rodungspläne.

S21 noch später: Nopper wird bald ungemütlich

„Vernunft kann warten“, heißt es in einer Audi-Broschüre zum Modell TTS Roadster, und das wäre auch ein gutes Motto für Stuttgart 21. Noch länger warten müssen jetzt auf jeden Fall alle, die sich auf das mittlerweile zum „Digitalen Knoten Stuttgart“ angewucherte Vorhaben freuen. Einen Tag, bevor es der S-21-Lenkungskreis ganz offiziell machte, verkündete der „Spiegel“ am Montag, dass das Projekt – Autor Serafin Reiber gebrauchte die sehr kontext-like Formulierung „unterdimensionierter Tunnelbahnhof“ – frühestens im Dezember 2026 in Betrieb gehen würde. Nein! Doch! Ohh! Gähn. Das war zu erwarten, und klar war auch spätestens seit März, dass auf keinen Fall alles bis zum bisher geplanten Starttermin Ende 2025 fertig werden würde.

Strittig war im Grunde nur noch, ob die Bahn weiterhin auf eine wenigstens teilweise Inbetriebnahme drängte, oder ob die komplette Inbetriebnahme verschoben würde, was etwa Baden-Württembergs Verkehrsminister Winfried Hermann (Grüne) für sinnvoller hielt. In der Lenkungskreis-Pressekonferenz am Dienstag verkündete DB-Infrastrukturvorstand Berthold Huber dann: „Ende 2026 wird der Digitale Knoten Stuttgart in Betrieb gehen.“ Was die Bahn von Stuttgarts OB Frank Nopper (CDU) zu erwarten hat, wenn es doch nochmal länger dauern sollte, machte dieser immerhin unmissverständlich klar. „Dann werden wir nicht nur ungeduldig, sondern auch ungemütlich“, sagte der passionierte Fassanstecher. Ach ja, und 100 Millionen mehr soll das zusätzliche Jahr die Bahn auch kosten, wobei Huber sich mühte, zu betonen, das nähme man alles aus dem bestehenden Risikotopf, der „Gesamtkostenrahmen“ erhöhe sich dadurch nicht. Na sicher.

Pflegekammer gescheitert

Was auch nicht geklappt hat: die Pflegekammer, für die Baden-Württembergs Sozialminister Manfred Lucha (Grüne) lang getrommelt hatte. Anfang des Jahres war es soweit: 120.619 Pflegefachkräfte wurden angeschrieben, wer gegen die Pflegekammer war, musste Widerspruch einlegen. Mehr als 53.000 Angeschriebene erhoben Einwendungen, nur 64.380 zuckten sich nicht. Damit wurde das erforderliche Quorum der Zustimmung nicht erreicht.

Der von Lucha eingesetzte Gründungsausschuss, der das Ganze organisieren musste, hat's also nicht gepackt und wird nun aufgelöst. Die Gewerkschaft Verdi, die wegen Zwang und zu wenig Kompetenzen strikt gegen die Kammer war, hielt sich mit Jubel oder Häme zurück, erklärte vielmehr ihren Respekt vor Lucha und bot an, gemeinsam mehr für die Pflege zu tun. Und das ist bekanntlich bitter nötig.

Gemeinsam für freie Presse

Als Genossenschaft gehören wir unseren Leser:innen. Und unser Journalismus ist nicht nur 100 % konzernfrei, sondern auch kostenfrei zugänglich. Alle Artikel stellen wir frei zur Verfügung, ohne Paywall. Gerade in diesen Zeiten müssen Einordnungen und Informationen allen zugänglich sein. Unsere Leser:innen müssen nichts bezahlen, wissen aber, dass kritischer, unabhängiger Journalismus nicht aus dem Nichts entsteht. Dafür sind wir sehr dankbar. Damit wir auch morgen noch unseren Journalismus machen können, brauchen wir mehr Unterstützung. Unser nächstes Ziel: 50.000 – und mit Ihrer Beteiligung können wir es schaffen. Setzen Sie ein Zeichen für die taz und für die Zukunft unseres Journalismus. Mit nur 5,- Euro sind Sie dabei! Jetzt unterstützen