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EditorialAltherrencharme

Wenn Stuttgart deutschlandweit für Schlagzeilen sorgt, liegt das meistens an Daimler, Feinstaub oder Krawall. Aber nicht immer: Jüngst widmete der „Deutschlandfunk Kultur“ dem ersten Literaturfestival Stuttgart einen längeren Beitrag – was wohl auch mit der nigerianischen Autorin Chimamanda Ngozi Adichie zusammenhing, die sonst mit Leuten wie Michelle Obama abhängt und als Stargast in der vollbesetzten Liederhalle war. Der Sender würdigte das ziemlich diverse Publikum und befand: „Ein Hauch von Happening-Stimmung liegt in der Luft, den selbst der Altherrencharme von Stuttgarts Oberbürgermeister Frank Nopper nicht trüben kann.“ Was damit gemeint war, illustrierte der Benannte sogleich. Ein Auszug aus der Nopperschen Laudatio im Wortlaut: Zur Eröffnung habe man sich „im Mozartsaal der Liederhalle versammelt. Mozarts bekanntestes Werk ist ‚Die Zauberflöte‘. Mozarts ‚Zauberflöte‘ passt ganz besonders gut zu Chimamanda Ngozi Adichie, da von ihr und ihrem literarischen Werk ein Zauber ausgeht.“

Darüber hinaus weiß der Mozart des Assoziierens auch um den Zauber der Bilder. So ist Adichie nicht allein wegen ihrer Bücher bekannt, sondern hat Teile ihrer Popularität auch dem millionenfach auf Youtube angeklickten Vortrag „We should all be feminists“ („Wir sollten alle Feminist:innen sein“) zu verdanken. Passend dazu war im Publikum ein Shirt mit dem entsprechenden Slogan hinter Nopper zu sehen. Ein Motiv, vor dem man sich hüten muss! Als der konservative Oberbürgermeister, der kürzlich von feministischen Gruppen zum größten Sexisten der Stadt gewählt wurde, unseren Fotografen Joachim E. Röttgers erblickt, deutet er mit ausgestreckten Finger auf den Knipser und nimmt Reißaus. Da setze er sich nicht hin, das würde in Kontext doch nur gegen ihn verwendet werden, sagt Nopper, von dem der Sinnspruch „Schaffen statt gendern“ überliefert ist.

In die gleiche Kerbe schlagen Noppers Parteifreunde im Altherren-Verein CDU. „Wir müssen alles dafür tun, den gesellschaftlichen Zusammenhalt im Land zu stärken“, betont der baden-württembergische Fraktionschef Manuel Hagel in seinem Plädoyer gegen geschlechtergerechte Sprache und bekennt: „Für mich selbst ist das Gendern nichts.“ Er und seine Fraktion unterstützten daher die Unterschriftensammlung eines 72-jährigen Anwalts aus Heidelberg, der das Gendern in Baden-Württembergs Behörden untersagen will und 15.000 Menschen unterstützen das. Durch Sternchen, Schrägstriche und Doppelpunkte, heißt es in dem Aufruf, verkomme die deutsche Sprache „zu einem blutleeren Soziolekt, das mit der Lebenswirklichkeit nichts zu tun hat“ (hätten die Initiator:innen einen Blick in den Duden geworfen, wäre ihnen womöglich aufgefallen, dass „der“ und nicht „das“ Soziolekt korrekt wäre). Es gehe aber nicht nur um Sprache, sondern auch um Rede- und Meinungsfreiheit. „Wer freiwillig ‚gendern‘ will, kann dies gerne tun. Wir lehnen jedoch entschieden Bestrebungen öffentlicher Institutionen und bestimmter Lobbygruppen ab, den Menschen entgegen ihrem Willen das Gendern aufzunötigen.“ Da erscheint es offenbar geboten, die Amtsdeutschen zum generischen Maskulin zu zwingen.

Nicht nur beim Kampf gegen geschlechtergerechte Sprache gleicht sich die Rhetorik der CDU zunehmend der vom ganz rechten Rand an. So hätten die Christdemokrat:innen bereits etliche AfD-Positionen übernommen, stellte unsere Autorin Johanna Henkel-Waidhofer in einer aktuellen Analyse fest: vom Grenzschutz samt -kontrollen bis zu Fragen von Abschiebung und Duldung. Am Ende profitiert davon nur das Original.

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