EUROFACETTEN: In der Schule anfangen
■ Die Italiener müssen in Sachen Einwanderer umdenken
Vor einem Jahr habe ich von einer Leserin aus Bologna einen Brief mit dem Eingeständnis ihrer ausländerfeindlichen Gefühle bekommen. Ich habe diesen Brief in 'L'Unit‘a‘ veröffentlicht. Dieselbe Frau hat mir nun vor einigen Wochen — vor den Ereignissen in Deutschland — einen weiteren Brief geschrieben: „Ich möchte etwas dazusetzen. Als ich damals schrieb, tat ich es aus Verärgerung über die schwarzen Invasoren, aus Angst vor ihrer mir unbekannten Welt, der Arroganz, mit der sie Rechte einfordern, aber kaum Pflichten auf sich nehmen wollen. Vor allem aber fühlte ich mein Recht zur Ablehnung der Invasoren beschränkt. — Nach dieser notwendigen Vorbemerkung nun zum Grund, der mich erneut zu schreiben veranlaßt: Es geht um diese Art, wie man die albanischen Flüchtlinge ohne Rücksicht auf internationales Recht zurückgeschickt hat. Als ich das erkannte, dachte ich: So etwas könnte wohl auch mir passieren. Ich habe mich geschämt, Italienerin zu sein. Immerhin: Seither schaue ich, dank unserer Regierung, die Einwanderer mit anderen Augen an.“
Kann es also auch uns passieren? Tatsächlich ist schon vielen unserer Landsleute Feindseligkeit, Mißtrauen, Rassismus anderer Völker begegnet. 25 Millionen Italiener, fast die Häfte unserer heutigen Bevölkerung, sind in den letzten hundert Jahre ausgewandert und haben immer wieder derlei erleiden müssen. Jetzt hat sich dieser Strom umgekehrt. Seit sich hier jene feindseligen Gefühle gegen Zuwanderer entwickeln, die auch unsere Landsleute erleben mußten, habe ich mich nicht nur wegen der einzelnen Manifestationen von Intoleranz geschämt, sondern auch wegen des kollektiven Gedächtnisverlustes der Italiener. Dann habe ich erkannt, daß die oft jungen Menschen, die diesen Haß fühlen, ja kaum etwas von jenen furchtbaren Erfahrungen unserer Verwandten wissen. In den Schulbüchern steht kaum etwas darüber.
Ich weiß natürlich, daß Intoleranz und Vorurteile auch materielle Wurzeln haben und von Schwierigkeiten unseres eigenen Volkes herrühren. Und ich weiß auch, daß sich derzeit Gewalttätigkeit überall in der Welt entwickelt, oft noch schlimmer als in Deutschland und Italien. Doch gerade wenn wir uns aufgerufen fühlen, sofort etwas dagegen zu unternehmen, müssen wir dort ansetzen, wo sich die Zukunft entscheiden wird. Daher die Wichtigkeit der Schule, daher die Notwendigkeit, Bücher zu haben, die uns klarmachen, daß Rassismus eben kein Phänomen ist, das nur die anderen angeht, sondern auch immer uns in erster Person. Giovanni Berlinguer
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