EU-Vertrag droht Abstimmungspleite: Die Angst vor den Iren
Am Donnerstag stimmt Irland als einziges Mitgliedsland der EU in einem Referendum über den Grundlagenvertrag ab. Wird der Vertrag abgelehnt, hat Europa ein Problem.
Alle 27 EU-Länder müssen dem Vertrag von Lissabon zustimmen. Dieser ersetzt quasi die ursprüngliche EU-Verfassung, die bei Referenden in Frankreich und den Niederlanden abgelehnt wurde und damit hinfällig war.
Die Abstimmung über den Vertrag von Lissabon erfolgt deshalb - außer in Irland - nur noch über die Ratifizierung in den jeweiligen nationalen Parlamenten. Bislang haben 15 EU-Mitglieder den Vertrag ratifiziert: Bulgarien, Dänemark, Deutschland, Frankreich, Lettland, Litauen, Luxemburg, Malta, Österreich, Polen, Portugal,
Rumänien, Slowakei, Slowenien und Ungarn. Noch nicht ratifiziert haben: Belgien, Estland, Finnland, Griechenland, Großbritannien, Italien, Niederlande, Schweden, Spanien, Tschechien und Zypern. Entscheidet Irland mit Nein, ist auch der Vertrag von Lissabon hinfällig.
Er hat beim Volksentscheid am kommenden Donnerstag keine Stimme, weil er Nordire ist. Doch Gerry Adams, der Präsident von Sinn Féin ("Wir selbst"), dem politischen Flügel der Irisch-Republikanischen Armee (IRA), rät den Iren, den EU-Vertrag von Lissabon abzulehnen. Irland ist das einzige Land, in dem über den Vertrag per Referendum entschieden wird. Lehnen die Iren ihn ab, kann er auch in den anderen Mitgliedsländern nicht in Kraft treten.
Diese Möglichkeit ist greifbar nahe. Konnten die Befürworter des Vertrags noch vor zwei Monaten mit doppelt so viel Stimmen wie die Gegner rechnen, so hat sich das Bild gewandelt. Nach Umfragen vom Wochenende liegen beide Seiten Kopf an Kopf bei rund 35 Prozent, so dass fast ein Drittel der IrInnen noch unentschlossen ist. Von ihnen hängt nun alles ab, sind sie doch bisher mehrheitlich ins Nein-Lager gewandert.
"Wenn man die weitere Zentralisierung der Macht, den Verlust des Einflusses kleinerer Mitgliedsstaaten und die schwache Rolle der Parlamente und der Bürger abwägt, dann ist der Vertrag von Lissabon zweifelsohne eine schlechte Lösung für die irische und die europäische Demokratie", sagt Adams, der als Gastredner ins Dubliner Royal Hospital Kilmainham eingeladen worden ist.
Es wurde 1684 als Heim für pensionierte Soldaten gebaut. Nach dem Osteraufstand 1916 wurde James Connolly, einer der Anführer, der bei dem Aufstand schwer verwundet worden war, im Royal Hospital gepflegt, bis er gesund genug war, um hingerichtet zu werden. 1984, zum 300. Jahrestag, wurde der Bau restauriert, seitdem beherbergt er das Museum für moderne Kunst. Die "Great Hall", in der die Debatte stattfindet, ist der größte Saal im Nordflügel, früher war es der Speisesaal der Soldaten.
"Tod des sozialen Europa"
Viel Unterstützung erhält Adams in der Debatte nicht, sämtliche anderen Parteien sind für die Ratifizierung des Vertrags von Lissabon. Martin Mansergh von der Regierungspartei Finna Fáil, ("Soldaten des Schicksals") wirft Adams Ungereimtheiten vor. Ein vereintes Irland, das Sinn Féin anstrebe, könne ebenso wie ein vereintes Deutschland nur in einem vereinten Europa wirtschaftlich und politisch überleben, sagt er. Joe Costello von der Labour Party fügt hinzu, dass der Vertrag mehr über die Rechte der Arbeiter als alle vorangegangenen Verträge enthalte.
Adams lässt das nicht gelten: "Im Gegensatz zu den Behauptungen der Befürworter des Vertrages, dass es der bisher sozialste Vertrag sei, signalisiert er in Wirklichkeit den Tod eines sozialen Europas, das wenig Gedanken an die sozialen und umweltpolitischen Folgen verschwendet." Der Vertrag werde den Boden für weitere Privatisierungen öffentlicher Dienstleistungen bereiten, Irlands Neutralität noch mehr untergraben und zu einer Steuerharmonisierung führen, argumentiert Adams.
Man ist bei der Debatte unter sich, neben den Parteipolitikern und den Journalisten sind lediglich eine Hand voll interessierter Besucher gekommen. Die Veranstaltung ist vom "National Forum for Europe" organisiert worden, das einen politisch neutralen öffentlichen Raum bieten will, in dem die verschiedenen Ansichten ausgedrückt werden können. Sämtliche Parteien beider Teile Irlands, verschiedene Nichtregierungsorganisationen sowie die Kirchen sind darin vertreten.
Der Vorsitzende Maurice Hayes, ein Mann mit langen grauen Haaren, der in vier Wochen 81 Jahre alt wird und wie Adams aus Nordirland stammt, hofft, dass die Iren den Vertrag ratifizieren werden: "Aber man weiß ja nie, was die Weltbank macht. Setzt sie den Zinssatz herauf, wäre das schlecht. Und viel hängt von der Wahlbeteiligung ab."
Es ist ungewiss, wie viele Menschen wählen werden. Lediglich fünf Prozent wissen, worum es bei dem Vertrag von Lissabon überhaupt geht. So enthalten die Wahlplakate der Parteien kaum mehr als Schlagworte. "Gut für Irland, gut für Europa", heißt es, oder: "Für Jobs, eine starke Wirtschaft und Irlands Zukunft." Die Labour Party verzichtet ganz auf Slogans. Auf ihren Plakaten sind ihre Abgeordneten abgebildet, darüber in der Ecke steht "Yes".
Damit das Referendum nicht wie vor sieben Jahren, als der Vertrag von Nizza im ersten Anlauf scheiterte, zu einer Abstimmung über die Regierung wird, hat Fianna Fáil den von Finanzaffären geplagten Partei- und Regierungschef Bertie Ahern vorigen Monat zum Rücktritt gezwungen. Andere Faktoren sind in den Vordergrund gerückt, vor allem die Welthandelsgespräche. Die irischen Bauern werfen dem EU-Handelskommissar Peter Mandelson vor, im Gegenzug für Vorteile für die Industrie und die Dienstleistungsbranche zu große Zugeständnisse bei den Agrarsubventionen anzubieten. Die Hälfte der irischen Bauern würde dadurch in die Pleite getrieben, warnt der Bauernverband. Zwar hat Premierminister Brian Cowen versprochen, ein Veto einzulegen, aber genau solch ein Veto würde durch den Lissabonner Vertrag unmöglich gemacht, sagen die Vertragsgegner.
Nachprüfen kann das kaum ein Wähler. Selbst Irlands EU-Kommissar Charlie McCreevy sagt, er habe den Vertrag nicht gelesen. "Niemand, der seine Sinne noch beisammen hat, wird ihn lesen", fügte er hinzu. Man solle sich die Zusammenfassung anschauen und mit Ja stimmen. Philip Lane, Professor für Wirtschaft am Trinity College Dublin, findet das auch. "Für das irische Wirtschaftssystem ist der internationale Handel wichtig, und der irische Arbeitsmarkt braucht Arbeitskräfte aus Ost- und Mitteleuropa", sagt er. "Für mich ist es keine Frage: Wir benötigen ein überzeugendes Ja."
Druck von außen
Er hält das Referendum eigentlich für überflüssig. "Es ist eine komplexe Geschichte, und man sollte das Parlament darüber entscheiden lassen", sagt er, denn auf die Wähler ist kein Verlass: "Es gibt eine perverse Logik: Die Iren akzeptieren keinen Druck von außen."
Doch dieser Druck ist zweifellos da. Der frühere UN-Generalsekretär Kofi Annan sagt, er könne sich nicht vorstellen, dass "sich die Iren von Europa abwenden" wollen, EU-Kommissionspräsident José Manuel Barroso hat gefordert, den Vertrag abzusegnen, und Anfang Mai trudelte Bundeskanzlerin Angela Merkel auf Einladung von Oppositionsführer Enda Kenny in Dublin ein, um den Iren ein Ja nahezulegen. Kenny musste sich von den Vertragsgegnern daran erinnern lassen, dass er kurz zuvor noch lamentiert hatte, nun würden "die ganzen Knallköpfe aus Europa kommen und sich in die Debatte einmischen".
Er meinte damit freilich die Vertragsgegner. Die decken ein breites Spektrum ab. Neben den katholischen Fundamentalisten, die prophezeien, dass Irland durch den Lissabonner Vertrag gezwungen werden könnte, gleichgeschlechtliche Ehen, Prostitution, harte Drogen, Abtreibung und Euthanasie zu legalisieren, sind auch anonyme Flugblätter aufgetaucht, auf denen gewarnt wird, dass Europa die Zahl der Kinder wie in China beschränken und Babys mit Strichcodes versehen will.
Die Vertragskritiker von links haben diesmal ihre politischen Differenzen hintan gestellt und sind ein breites Bündnis eingegangen. Wortführerin ist Patricia McKenna. Die kleine zierliche Frau war mal Europaabgeordnete der Grünen. Ihre Parteiführung ist für den Vertrag, denn sie sitzt ja in der Regierung, aber beim Parteikongress reichte es nicht für die erforderliche Zweidrittelmehrheit, so dass die Grünen offiziell neutral sind. McKenna beklagt, dass die EU-Kommission, die sich theoretisch nicht in die irische Debatte einmischen darf, durch ihr Dubliner Büro der Ja-Seite Millionen zuschustert.
Die Nein-Kampagne finanziert sich durch Spenden, vor allem aber durch einen limitierten Druck des irischen Künstlers Robert Ballagh. Das Bild, das in seinem Atelier im Dubliner Arbeiterviertel Stoneybatter auf einer Staffelei steht, zeigt einen menschlichen Kopf, von der Europaflagge umhüllt, so dass er blind ist. "Irland sollte gegen den Vertrag stimmen", sagt Ballagh, der die letzten irischen Geldscheine vor Einführung des Euro entworfen hatte. "Die Franzosen und Niederländer haben gegen die Verfassung gestimmt, und nun taucht sie unter einem anderen Namen wieder auf. Das ist undemokratisch." Die Iren, so Ballagh, haben die Pflicht, die Politiker zurück an den Verhandlungstisch zu schicken.
Unruhe in Brüssel
Die Unruhe ist groß in Brüssel. Lehnen die Iren den Vertrag von Lissabon ab, "ist er am Ende", sagt Elmar Brok, der Europaabgeordnete der CDU. Einen Plan B gebe es nicht, beteuert auch die irische Regierung. Pierre Lequiller, der französische Delegationsvorsitzende für die Europäische Union, erklärte dagegen Mitte Mai, was im Fall eines irischen Neins zu geschehen habe: "Dann ist es notwendig, um ein neues Referendum zu bitten, nachdem wir einige Veränderungen am Vertrag vorgenommen haben." Ballagh sagt dazu: "Die europäische Elite will offenbar kein Nein akzeptieren."
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