EU-Umweltpolitiker über Klimapaket: "Rückfall ins Denken der 70er-Jahre"
Der EU-Umweltpolitiker Claude Turmes fürchtet das Scheitern des Klimapakets. Er glaubt, dass die Bankenkrise eng mit Öl- und Klimaproblemen verzahnt ist.
taz: Herr Turmes, Sie haben das Treffen der Umweltminister in Luxemburg verfolgt. Wie schätzen Sie die Chancen ein, dass beim Klimapaket der Europäischen Union doch noch ein akzeptabler Kompromiss zustande kommt?
Claude Turmes: Ich bin sehr pessimistisch. Sarkozy hat auf dem Herbstgipfel letzte Woche einen Riesenfehler gemacht, weil er Polen und Italien ein politisches Vetorecht eingeräumt hat. Damit gewinnen die Bremser beim Klimaschutz an Gewicht.
Nach den Abstimmungen im Industrieausschuss und Umweltausschuss des Europaparlaments konnte man Sie noch recht optimistisch, fast euphorisch erleben. Hätten Sie eine derartige Kehrtwende auf dem Herbstgipfel für möglich gehalten?
Ich bin erschrocken über die Unschärfe und Untiefe der Analysen der Staatschefs. Die Bankenkrise ist sehr eng verzahnt mit der Ölkrise und mit der Klimakrise und natürlich auch mit der Lebensmittelkrise, die ja inzwischen zu einem riesigen neuen Armutsproblem in Entwicklungs- und Schwellenländern wird. Dieser nun konstruierte Gegensatz zwischen Umweltschutz und Wirtschaftswachstum bringt uns zurück in das Denken der 70er-Jahre.
Viele Skeptiker haben von Anfang an gesagt, dass die ehrgeizigen Klimaziele erst dann etwas wert sind, wenn die Lastenteilung unter den Mitgliedstaaten und die Beteiligung der energieintensiven Industrien geklärt ist. War das Parlament nicht zu naiv?
Nein. Die EU-Kommission hat die Kosten für jedes Mitgliedsland berechnet. Darauf gründet eine faire Lastenverteilung. Wenn die Osteuropäer ihre Klimapolitik im Rahmen der Post-Kioto-Gespräche ohne die EU verhandeln müssten, bekämen sie viel strengere Ziele vorgeschrieben. Außerdem unterschlagen diese Regierungen, dass im Emissionshandelssystem für die Umstellung von kohlebasierter Energiewirtschaft auf andere Energieträger Ausgleichszahlungen vorgesehen sind, die aus den Erlösen für die Klimazertifikate kommen sollen. Was Polen und andere osteuropäische Länder derzeit machen, ist unverschämt und durch die Analyse der Lastenverteilung nicht gedeckt.
Sarkozy und Merkel haben ja beim Thema Pkw mit den Extratouren angefangen. Die anderen folgen jetzt nur nach. Europa ist offenbar noch nicht reif für gemeinschaftliches Handeln.
Ich teile diese Analyse. Die Osteuropäer haben sich gesagt, wenn die Klimakanzlerin Merkel zur Autokanzlerin wird, dann sollten auch wir unsere Schäfchen ins Trockene bringen. Die Autolobby, die das CO2-Gesetz für Pkw zu torpedieren versucht, kann man fast als kriminell bezeichnen.
Warum?
Wir wissen doch alle, dass Mobilität für Milliarden Menschen in China und Indien mit solchen spritfressenden Autos auf Dauer nicht durchzuhalten ist. Jetzt soll es eine weitere Schonfrist für all diejenigen geben, die auf ineffiziente Limousinen gesetzt haben.
INTERVIEW: DANIELA WEINGÄRTNER
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