EU-Russland-Gipfel: Brüssel hofft auf Neuanfang
Am Donnerstag beginnt der zweitägige EU-Russland-Gipfel. Ziel ist es, ein neues Partnerschaftsabkommen auszuhandeln. Das möchte Moskau so unverbindlich wie möglich halten.
Die EU steht in Russland nicht hoch im Kurs. Staatliche Medien haben selten Vorteilhaftes über den Nachbarn zu berichten. Mit Unverständnis und unverhohlener Schadenfreude begegnet man in Moskau dem behäbigen Kontinentalblock im Westen. Die EU gibt dazu auch Anlass, wie das gescheiterte irische Referendum über den Lissabonner Vertrag wieder bewies. Das Desaster von Dublin bestätigte die politische Elite in Moskau in der Überzeugung, die supranationale Union sei ohnehin eine Totgeburt.
Die einst positive Haltung zu Europa hat sich auch in der Bevölkerung verändert. 71 Prozent der Russen bezeichnen sich nicht mehr als Europäer, die Hälfte nahm 2007 die EU in Umfragen des Lewada-Zentrums gar als Bedrohung wahr. In der zweiten Amtsperiode von Präsident Wladimir Putin gestalteten sich die Beziehungen zur EU eher unterkühlt. Mit 11 der 27 Mitgliedsstaaten hatte Russland ernstere Reibereien. Die Folge war, dass Polen und Litauen gegen die Aufnahme von Neuverhandlungen des 2007 ausgelaufenen Partnerschaftsabkommens (PA) ein Veto einlegten. Die Blockade ist beseitigt, in Chanty-Mansijsk beginnt heute ein EU-Russland-Gipfel, der ein neues Abkommen auf den Weg bringen soll.
Die EU hegt verhaltene Hoffnung auf einen Neuanfang. Der Grund ist der neue Kremlchef Dmitrij Medwedjew, der sich erstmals wieder wohlwollend zu Demokratie und Aufbau eines Rechtsstaates äußerte. Ein weniger autoritäres Russland bedeutet indes nicht automatisch, dass sich auch die Beziehungen zur EU verbessern. Die erste Auslandsreise führte Medwedjew nach China, dessen Gunst und Rückendeckung Moskaus internationales Gewicht dem Westen gegenüber verstärken soll.
Der Kreml ist nicht erpicht auf ein neues PA. Er könnte auch mit dem alten Vertrag weiterleben, der sich verlängert, wenn kein neues Abkommen das alte ersetzt. Von der Wertegemeinschaft, die das PA 1997 entwarf, hat sich Russlands "souveräne Demokratie" längst verabschiedet. Moskau will zwar auch einen neuen Vertrag. Dieser soll aber keine politischen Forderungen enthalten, nicht zu Demokratie gemahnen und gegenseitige Verpflichtungen möglichst unverbindlich halten. Das erste PA habe Russland gedemütigt und dessen vorübergehende Schwäche ausgenutzt, ist gängige Meinung in Moskau. Nun möchte der Kreml, dass das neue Vertragswerk Russland als gleichberechtigtem Partner Reverenz erweist. Die Achtung besteht im Verzicht auf Forderungen.
Die EU möchte bei der Kooperation in den "gemeinsamen Räumen" (Wirtschaft, Sicherheit und Recht, Demokratie, äußere Sicherheit, Kultur und Bildung) alles regeln. Aus Erfahrung, denn bisweilen nahm es Russland mit den Gesetzen nicht so genau. Die souveräne Demokratie macht kein Hehl daraus, dass sie juristisches Regelwerk lediglich als Instrument der Machtausübung begreift. Das widerspricht dem Grundkonsens der europäischen Wertegemeinschaft. Die "strategische Partnerschaft" besitzt keine gemeinsame Basis mehr.
Die Verhandlungen dürften anstrengend und langwierig werden. Weder gibt es ein Konzept noch ein gemeinsames Ziel, die Vision ist ohnehin abhandengekommen. In den letzten zehn Jahren hat sich das Gewicht in den EU-Russland-Beziehungen überdies zugunsten Russlands verlagert: "Der Kreml bestimmt die Agenda der Beziehungen und tut dies in einer Weise, die zunehmend die Regeln des Spiels missachtet", meint Ex-Außenminister Joschka Fischer. Grund sei die fehlende Einheit in der EU.
Die Bescheidenheit Brüssels überrascht. Denn im Vergleich ist die EU wirtschaftlich, demografisch und technologisch ein Schwergewicht, das über ein 15faches BIP und dreieinhalbmal so viel Bevölkerung verfügt wie Russland. Sie könnte viel entschiedener auftreten. Zumal der Gasgigant Gasprom siebzig Prozent der Energie in die EU verkauft zu Preisen, die weder China noch andere aufstrebende Mächte zahlen wollen.
Der Umgang mit Russland ist einer der größten Streitpunkte in der Union. Moskau versteht das Fehlen einer gemeinsamen Strategie zu nutzen. Besonders deutlich offenbart sich der Erfolg in der russischen Energiepolitik, die einige Staaten mit vorteilhaften bilateralen und langfristigen Lieferverträgen ködert. Das hat einen Konsens unterminiert. Solange die Teile-und-herrsche-Politik effektiv ist, wird Moskau daran festhalten. Eine einmütige Haltung gegenüber Russland müsste bei der Energiefrage ansetzen. Würde die Zuständigkeit für Energiepolitik von der nationalen Ebene nach Brüssel verlagert, könnte Moskau sein Spiel nicht weitertreiben.
Bislang sieht es danach jedoch nicht aus. Auch das fehlgeschlagene Referendum in Irland hat die Perspektive einer supranationalen Verfasstheit in weitere Ferne gerückt. So geht Moskau gestärkt und selbstbewusst in die Verhandlungen über das PA.
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