EU-Politiker über Wirtschaftspolitik: "Die EU-Bürger wollen den Euro"
Die Europäische Union braucht eine Wirtschaftsregierung, die auch Sanktionen verhängen kann. Das meint zumindest der EU-Politiker Guy Verhofstadt.
taz: Herr Verhofstadt, Sie haben vor sechs Jahren ein Buch geschrieben mit dem Titel "die Vereinigten Staaten von Europa". Damals wollte davon niemand etwas wissen. Warum sollen wir Ihnen heute zuhören?
Guy Verhofstadt: Weil es die Finanzmärkte verlangen. Vor sechs Jahren, als ich das Buch vorgelegt habe, haben die Leute mir gesagt: "Sie spinnen!" Aber heute ist das keine abwegige Idee mehr. Die Angst vor dem Wort "föderal" in Verbindung mit Europa ist verschwunden. Es ist salonfähig geworden. Die Finanzmärkte müssen sehen, dass wir eine starke Wirtschafts- und Steuerunion schaffen. Sonst werden sie nicht an eine Lösung der Krise glauben. Und wir verlieren damit auch unsere politische Rolle in der Welt.
In vielen Mitgliedstaaten gibt es nationalistische Tendenzen: etwa in den Niederlanden, Ungarn oder Frankreich.
Das stimmt. Aber diese Entwicklung gibt es nur, weil politische Führungspersonen seit 2009 die Rhetorik der Populisten übernommen haben: "Ihr Griechen bekommt kein Geld. Wir helfen nicht." Und da erst hat die Eurokrise wirklich angefangen. Die Finanzmärkte haben gesehen, dass nicht nur die Disziplin in der Eurozone nicht mehr funktioniert, sondern auch die Solidarität zusammenbricht.
Wäre es nicht einfacher, die Griechen einfach pleitegehen zu lassen?
, 1953 in Dendermonde geboren, ist belgischer Politiker und seit 2009 Mitglied des Europäischen Parlaments. Dort leitet er die liberale Fraktion ALDE. Von 1999 bis 2008 war er Premierminister in Belgien.
Nein. Wir müssen den Euro stärken - und zwar aus wirtschaftlichen Gründen. Ein Beispiel: Die Handelsbilanz zwischen Deutschland und Griechenland war immer leicht positiv. Aber mit der Einführung des Euro hat sich der deutsche Überschuss vervierfacht. Vervierfacht! Das müssen Sie sich mal vorstellen. Das ist die Realität. Kein Land kann daran interessiert sein, den Euro zusammenbrechen zu lassen und die alten Währungsgrenzen wieder einzuführen.
Für eine Vertragsänderung hin zu mehr EU bräuchten Sie das Ja der Bevölkerung. Bei der Abstimmung über die EU-Verfassung lehnten 2005 die Niederländer und die Franzosen diese ab. Bei einem Referendum würde Ihr Projekt doch scheitern.
Vieles könnten wir auf den Weg bringen, ohne die Verträge zu ändern. Ich bin Jurist. Ich sehe da immer Möglichkeiten. Schon jetzt steht in den Verträgen, dass die EU Entscheidungen treffen kann, um die Stabilität des Euro zu gewährleisten. Etwas anderes wäre auch die Wirtschafts- und Steuerunion nicht. Aber ich habe auch keine Angst vor Volksabstimmungen. Ich bin überzeugt, dass die Mehrheit der EU-Bürger den Euro will. Allerdings müsste solch ein Referendum europaweit organisiert werden. Schließlich geht es um europäische Politik. Und dann bekämen auch einzelne nationale Befindlichkeiten weniger Gewicht.
Aber auch die Deutschen würden es vermutlich nicht mitmachen, sich von Berlusconi und Papandreou reinregieren zu lassen.
Genau deshalb braucht diese neue Union starke Institutionen - unabhängig von einzelnen Regierungschefs. Angela Merkel und Nicolas Sarkozy haben den Fehler gemacht, die Wirtschaftsregierung auf der zwischenstaatlichen Ebene einzurichten - mit läppischen zwei Treffen im Jahr. Das ist doch Blödsinn. Die Staats- und Regierungschefs sind dafür nicht geeignet. Sie sind keine Spezialisten. Eine Wirtschaftsregierung muss sich zweimal in der Woche treffen. Wenn es notwendig ist, auch zweimal am Tag.
Wie wollen Sie dieses Gremium organisieren?
Ich möchte es in der Europäischen Kommission ansiedeln mit dem Kommissar für Wirtschaft und Währung an der Spitze. Dieses Gremium muss die Macht bekommen, direkt Sanktionen gegen Mitgliedstaaten zu verhängen, wenn sie sich nicht an die Regeln für einen stabilen Euro halten.
Das hieße Entmachtung der nationalen Regierungen. Erhalten Sie dafür Unterstützung in Berlin und Paris?
Das werden wir sehen. Der holländische Premierminister Rutte hat ähnliche Ideen wie ich. Auch Schäuble will eine weitergehende europäische Integration. Das ist ein Anfang. Im Wettbewerbsrecht funktioniert es ja auch. Glauben Sie ernsthaft, nur ein einziges privates Unternehmen, das gegen den fairen Wettbewerb verstößt, würde zu Strafzahlungen verurteilt, wenn die Mitgliedstaaten darüber entscheiden müssten? Das klappt nur über die EU-Kommission. Das brauchen wir auch für den Euro.
Dafür bräuchten es eine starke EU-Kommission. Ihr Präsident José Manuel Barroso tanzt den Mitgliedstaaten aber nach der Pfeife.
Ich will ihn nicht kritisieren. Aber wir dürfen unsere Entscheidungen nicht von einer konkreten Person abhängig machen. Hier geht es um langfristige Maßnahmen.
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