EU-Agrarpolitik: Keine Zeit für krumme Deals

40 Prozent des EU-Haushalts geht in die Landwirtschaft. Bei der Verteilung sollten Demokratie und Klimagerechtigkeit zählen. Ein Gastbeitrag.

Wenigstens diese Agrarwende ist gelungen. Bild: Loren King/Unsplash

Ein Gastbeitrag von JULIA THÖRING, Fridays for Future

Die Bilder des vergangenen Sommers zeigen sterbende Wälder: Kalifornien, Sibirien und das Amazonasgebiet brennen und Deutschland erlebt den dritten Dürresommer in Folge. Extremwetter werden zur Normalität und wir gewöhnen uns langsam dran, während sich die EU zu dieser Stunde von Pariser Klimaabkommens verabschiedet.

Warum davon so wenige Menschen mitbekommen? Kaum jemandem ist klar, dass die Reform der Gemeinsamen Agrarpolitk der EU (GAP), die in dieser Woche beschlossen wird, eine der größten Klimaentscheidungen des kommenden Jahrzehnts ist. Die aktuellen Verhandlungen über die nächsten 9 Jahre sind hochkomplex, intransparent und lassen die Fragen nach der Rolle der Landwirtschaft bei der Bewältigung der Klima- und Biodiversitätskrise offen. Die Agrarsubventionen erscheinen wie ein blinder Fleck in der Debatte um unsere Zukunft, obwohl sie mit fast 40 Prozent den größten Teil des EU-Haushalts ausmachen.

Ja, dass Landwirt*innen es schwer haben mit der Dürre ist mittlerweile angekommen. Dass wir zu viele Tiere halten und ein Problem mit der Nitratbelastung in unseren Böden haben irgendwie auch. Aber wer hier die großen Fäden zieht kommt im gesellschaftlichen Diskurs kaum vor. Der Agrarsektor als Brandbeschleuniger der Klimakrise wird immer wieder ausgeklammert. Stattdessen bleiben wir in Debatten um Lebensmittel meist bei der Frage nach Konsumverhalten hängen und überlassen dadurch den mächtigen Konservativen in den EU-Institutionen ungehindert das Spielfeld.

Dabei ist dies eine Klimaentscheidung von immenser Bedeutung. Die Reformperiode fällt genau in den Zeitraum, der entscheidend ist, um die Klimakrise noch so weit wie möglich einzudämmen. „Wachse oder Weiche“ funktioniert nicht auf einem begrenzten Planeten. Und der Agrarsektor überschreitet schon längst viele planetarische Grenzen.

Ein tödlicher Kompromiss

Die EU-Komission deklariert 40 Prozent der GAP-Gelder als wirksam für den Klimaschutz, um sich vor ernstzunehmenden Reformen zu drücken. Eine Behauptung, die wissenschaftlich schon längst als wiederlegt gilt. Anfang Oktober verabschiedete auch das EU-Parlament seine Position zum Green Deal. 60 Prozent Emissionsminderung bis 2030 sollten erreicht werden. Doch kaum zwei Wochen später verlieren die drei großen Fraktionen jegliche Glaubwürdigkeit und unterwandern ihre eigenen Klimaambitionen. Die Liberalen, Konservativen und Sozialdemokraten einigten sich auf einen tödlichen Kompromiss, der jegliche Hoffnungen auf eine klimagerechte Landwirtschaft begräbt.

Wie kann es sein, dass die EU-Institutionen sich stolz mit Klimaversprechen schmücken und sich konsequent weigern das größte Agrarsubventionsprogramm der Welt auf die Herausforderungen unserer Zeit abzustimmen? Die Emissionen des EU-Agrarsektors sind in den letzten 15 Jahren um weniger als 1 Prozent gesunken. Nach 2010 stiegen sie sogar für eine Zeit an. 

Seit Jahrzehnten wird die GAP in Brüsseler Hinterzimmern unter Ausschluss der Öffentlichkeit ausgehandelt. Und auch wenn die Verhandlungen mehr Platz in der öffentlichen Debatte finden würden, ist die Struktur der Agrarreform so komplex, dass kaum ein*e Durchschnittsbürger*in sie versteht. Den meisten Parlamentarier*innen ergeht es wahrscheinlich nicht anders. Zwischen Umschichtung der Gelder zwischen den Maßnahmenkatalogen kann man sich nur verlaufen. Und das ist gefährlich.

Wenn die Entscheidung über die Agrarsubventionen den Agrarlobbyisten des COPA-COGECA-Verbandes überlassen werden, können wir uns von einer europäischen Agrarwende verabschieden. Die Lobby derer, die Angst vor dem Zerfall des größten Ausgabenblocks in der ersten Säule - der pauschalen Flächenprämie - haben, ist mächtig. Ihre lauten Stimmen übertönen die Hilferufe der Landwirt*innen, die unter dem ständigen Preisdruck in die Knie gehen und nun auch noch die Klimakrise auf ihrem Rücken tragen müssen. Nicht die fehlende Hofnachfolge gefährdet viele Höfe. Ihre Zukunft hängt davon ab, wie erfolgreich wir Klimaschutz betreiben, um wirtschaftliche Lebensmittelproduktion zu sichern.

Demokratische Kritik wird untergraben

Angesichts der jüngsten Entwicklungen dieser Tage scheint es so, als ob eine demokratische Entscheidungsfindung und ein aufrichtiger, wissenschaftlich basierter Diskurs um die entscheidene Rolle der GAP bei der Bewältigung der Klimakrise Fehlanzeige ist. Kurz vor Beginn der entscheidenen Verhandlungswoche im Parlament werden interne Zweifel und Kritik am letzte Woche geschlossenen Kompromiss von Europäischer Volkspartei, Sozialdemokraten und Renew Europe größer. Erste Parlamentarier*innen kündigen öffentlich an, gegen die Linie der Partei zu stimmen. Dann am Montag Abend die Nachricht - weniger als 48 Stunden vor der Entscheidung im Parlament wird die Abstimmung über den Kompromiss spontan auf den nächsten Tag vorverlegt. Änderungsanträge werden teilweise abgelehnt, viele der über 1000 Anträge sind noch nicht einmal übersetzt worden.

Wir sprechen hier über eine Entscheidung der Verteilung von 400 Milliarden Euro Steuergeldern. Durch die spontane Vorverlegung wird hier bewusst die Möglichkeit des demokratischen Protests untergraben. Infos darüber dringen nur schwer an die Öffentlichkeit. Was niemand hört und versteht, kann auch niemand kritisieren.

Die aktuell fehlende Debatte um die Rolle der Landwirtschaft zeigt deutlich: Die EU versucht nochmal alles, um diesen Deal für die Lobby und den Status Quo aufrecht zu erhalten mit desaströsen Folgen für Klima und Biodiversität. Koste es was es wolle. Doch wir haben weder Zeit für kleine Schritte, noch für undemokratische Deals oder Machtspiele.

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