ESSAY: Öko-Terrorist George Bush
■ Die Schadstoff-Emissionen des amerikanischen Präsidenten auf dem Gipfel für Umwelt und Entwicklung in Rio überschreiten jede Zulassungsgrenze
Eine Wende im allerletzten Augenblick ist nicht in Sicht: Die größte Umweltkonferenz aller Zeiten, der Erdgipfel von Rio, wird zum größten Reinfall, zu einem historischen Fehlschlag. Rhetorische Übungen, unverbindliche Erklärungen, Öko-Zirkus global — mehr ist beim Umwelttreffen der Politniks aus 170 Ländern nicht zu erwarten. Die Verantwortung für dieses Debakel tragen in erster Linie die USA, die keinerlei Bereitschaft zeigen, sich auf verbindliche Maßnahmen zum Schutz der Erde festzulegen. Vor allem verweigern sie ihre Zustimmung zu einer Klimapolitik, die konkrete Grenzen für den Ausstoß des Klimakillers CO2 festlegt.
US-Vormann George Bush macht sich dabei kaum noch die Mühe, sein wahres Motiv, die Angst vor der amerikanischen Industrie, zu verschleiern. Nur mühsam stottert er die Sprachregelung seiner Berater herunter: Der Prozeß der Klimaveränderungen sei zu kompliziert, um ihn allein mit einem CO2-Programm zu bekämpfen. Dann schon lieber gar nichts tun. Natürlich wissen auch Bush und seine Berater, daß CO2 nach neuesten Abschätzungen zu 61 Prozent für den künstlichen Treibhauseffekt verantwortlich ist. Diesen Treibhauseffekt haben die USA wie kein anderes Land der Erde angeheizt. Sie allein sind für ein Viertel der gesamten weltweiten CO2-Emmissionen verantwortlich und damit einsamer Spitzenreiter.
Ein US-Amerikaner verbraucht pro Kopf und Jahr 10.200 Kilogramm Steinkohle-Einheiten, ein Deutscher 6.000, ein Chinese 700, ein Inder 300, ein Bangla Deshi 64. Umgerechnet auf den CO2-Ausstoß, bläst jeder Amerikaner 50 mal soviel Kohlendioxid in die Luft wie ein Bewohner im afrikanischen Malawi. Alle Entwicklungsländer zusammen müßten die Größe ihrer Bevölkerung beinahe verhundertfachen, um den CO2-Ausstoß des nordamerikanischen Kontinents zu erreichen. Keine Frage: Wenn jeder Erdbewohner auch nur ein Drittel des US-Energieverbrauchs für sich beanspruchen würde, wäre der Kollaps der Erde gewiß.
Es gibt viele eindrucksvolle Zahlen, die die Konsequenzen des riesigen Energieverbrauchs der Industrieländer deutlich machen. Besonders anschaulich ist die Vorstellung, daß bei einem Business-as-usual, also einem ungebremsten „normalen“ Gang der Dinge, die in diesem Jahrzehnt geborenen Kinder noch das Ende der Vorräte an Erdgas und Erdöl erleben werden. Spätestens in 200 Jahren werden auch die Kohlevorräte unwiederbringlich aufgebraucht sein. An einem Tag werden heute mehr fossile Brennstoffe verfeuert als in 1.000 Jahren Erdgeschichte entstanden sind. Die klimatischen Konsequenzen sind klar. In den nächsten Jahrzehnten wird es wärmer auf der Erde sein als es in den letzten 10.000 Jahren jemals war.
Die USA sind weit davon entfernt, auch nur einen Teil der Verantwortung für diese Entwicklung auf sich zu nehmen. Ökologisch bewußtlos, mit der Chuzpe des tumben Autokraten, hat ihr Präsident die Augen vor der Wirklichkeit fest verschlossen. Der Öko-Terrorist George Bush verweigert die Mitarbeit an der Rettung des Planeten. Nur: Es wird ihm nichts nützen. Dieses Jahrzehnt wird das Jahrzehnt des ökologischen Umbaus. Und die dramatischen Veränderungen werden kaum vor den Grenzen Amerikas haltmachen. Im Gegenteil: Während Bush noch ökologisch mauert, kommen die wichtigsten Impulse für diese Veränderung aus seinem eigenen Land.
Der US-Bundesstaat Kalifornien ist heute das Weltzentrum für alternative Energien. Er allein erzeugt mehr Elektrizität aus Wind und Sonne als der Rest der Welt zusammen. Auch bei der Nutzung von Erdwärme ist er mit einem Drittel der Welterzeugung führend. In Kalifornien werden energiesparende Kühlschränke bezuschußt, der Austausch von Elektroherden, die Wärmedämmung von Dachböden, die Ummantelung von Heizungsrohren und der Einbau von Klimafenstern. Hier kommt der Energiedetektiv kostenlos ins Haus und sucht nach Einspar- Möglichkeiten. Hier werden gratis Energiesparlampen verteilt.
Während Bush die US-Industrie vor ökologischen Reformen schützen will, boomt in den USA der Markt für Energieberatungsfirmen. Sie haben sich darauf spezialisiert, in Industriebetrieben, Schulen und Bürohäusern die Energiespar-Potentiale zu ermitteln und Sparmaßnahmen durchzuführen. Computer-Zentralen überwachen die Klima- und Beleuchtungssysteme, Sensoren löschen das Licht, wenn eine Person den Raum verläßt. Beschichtete Fenster halten das Sonnenlicht ab und die Raumtemperatur auf wohnlichem Niveau. Reflektoren vergrößern die Lichtausbeute der Lampen und verkleinern die Wattzahlen.
Aus Amerika kommt auch das bislang einzige Welt-Energieszenario für die nächsten 50 Jahre, das diesem Planeten eine Überlebenschance gibt. Amory Lovins, der Negawatt- Exponent des Rocky-Mountain-Institutes, hat wie kein anderer die Energiediskussion der letzten Jahre beeinflußt. Er hat gezeigt, wie die USA mit einem Drittel ihres Stromverbrauchs auskommen könnten. Seine Idee der Effizienz-Revolution bei der Energieversorgung ist seitdem bis in europäische Regierungsprogramme vorgestoßen.
Die Richtung ist abgesteckt. In keinem anderen Land der Erde könnte die Reduktion des Klimakillers CO2 so schnell und so leicht erfolgen wie in den USA. Die riesige Energieverschwendung macht es hier besonders einfach, Energie in großem Stil einzusparen. Man stelle sich vor, was allein eine „Europäisierung“, also fast Halbierung des Spritverbrauchs der amerikanischen Autoflotte bringen könnte. In den USA sind die Kraftfahrzeuge für 24 Prozent aller CO2-Emissionen verantwortlich (weltweit: 14 Prozent). Eine einzige Tankfüllung Benzin erzeugt 180 Kilogramm Kohlendioxid.
Angesichts solcher Perspektiven und Notwendigkeiten werden auch die USA den Kurs des ökologischen Geisterfahrers nicht lange durchhalten können. Sie sollten nicht solange warten, bis im amerikanischen Getreidegürtel die Ernten vertrocknen.
Die europäischen Länder hätten in dieser Situation die Aufgabe, den USA Dampf zu machen und sie in Rio klimapolitisch zu isolieren. Dazu hatten sie nicht den Mut. Und vielleicht auch nicht das Recht, denn ihre eigene Klimapolitik ist alles andere als richtungsweisend. Ihr kleinster gemeinsamer Nenner ist ein Vorschlag zur CO2-Stabilisierung auf dem — katastrophalen — Niveau von 1990. Dem Ertrinkenden wird der Rettungssring verweigert; man verspricht ihm stattdessen, den Wasserspiegel zu „stabilisieren“. Nicht der CO2-Ausstoß, sondern das Klima müßte stabilisiert werden und dazu wären CO2-Reduktionen um 20 Prozent bis zum Jahr 2005 und 50 Prozent bis zum Jahr 2050 notwendig. So hatte es der Klimagipfel von Toronto beschlossen. Daß Bush selbst den peinlichen Vorschlag der CO2- Stabilisierung noch für unakzeptabel hält, sagt alles über die internationale Umweltpolitik.
Natürlich kann sich die Erde ein Scheitern des Erdgipfels nicht leisten. Andererseits hätte klimapolitisch auch ein „Erfolg“, nämlich die Einigung auf die vorgeschlagene CO2-Stabilisierung, wenig gebracht. So ist derzeit das wichtigste am „Erdgipfel“, daß er ein Weltforum für die Umwelt wird. Daß er die öffentliche Kompentenz für das Thema stärkt und für jedermann sichtbar macht, wie die Polit-Zombies aus 170 Ländern die ökologische Erneuerung verweigern.
Die notwendige ökologische Revolution, sagt Lester Brown vom Worldwatch-Institut, werde von den meisten Menschen wie ein Sportereignis betrachtet, bei dem sie sich selbst als Zuschauer begreifen. Um den Planeten zu retten, müßten die Zuschauer aber die Seitenlinien überschreiten und selbst gegen den Ball treten. Brown hat recht. Zumindest sollten die Zuschauer kräftig pfeifen und mit faulen Eiern werfen, wenn das Fußballspiel so schlecht ist, wie das von Rio de Janeiro. Manfred Kriener
taz lesen kann jede:r
Als Genossenschaft gehören wir unseren Leser:innen. Und unser Journalismus ist nicht nur 100 % konzernfrei, sondern auch kostenfrei zugänglich. Texte, die es nicht allen recht machen und Stimmen, die man woanders nicht hört – immer aus Überzeugung und hier auf taz.de ohne Paywall. Unsere Leser:innen müssen nichts bezahlen, wissen aber, dass guter, kritischer Journalismus nicht aus dem Nichts entsteht. Dafür sind wir sehr dankbar. Damit wir auch morgen noch unseren Journalismus machen können, brauchen wir mehr Unterstützung. Unser nächstes Ziel: 40.000 – und mit Ihrer Beteiligung können wir es schaffen. Setzen Sie ein Zeichen für die taz und für die Zukunft unseres Journalismus. Mit nur 5,- Euro sind Sie dabei! Jetzt unterstützen