ESSAY: Ein aufrichtiger Feind
■ In seiner Not greift Bush auf Saddam Hussein zurück
Freunde nennen sich zwar aufrichtig, wirklich verlassen aber kann man sich nur auf die Aufrichtigkeit seiner Feinde. Das weiß auch der Wahlkämpfer George Bush. Im Ringen um die schwindende Gunst des Wahlvolkes bekam der Präsident innenpolitisch kein Bein mehr auf die Erde. Just in dieser Stunde der Not erinnerte sich der Wahlkämpfer seines treuen Feindes Saddam Hussein im fernen Mesopotamien und konnte so vom schleppenden Gang auf innenpolitschem zum gestreckten Galopp auf außenpolitischen Parcours wechseln.
Der „Rüpel“ und „Händler des Todes“ in Bagdad, meint ein sichtlich entschlossener Bush, bedrohe erneut den Frieden und verhöhne die UNO. Nun müsse gehandelt werden. Das Handeln aber überlasse man getrost ihm, denn er, man rufe sich nur die Operation „Wüstensturm“ ins Gedächtnis, habe „die Erfahrung, die Härte und den Mut, um den Tyrannen von Bagdad entgegenzutreten“. Die Tyrannentat, die den Wahlkämpfer Bush so erzürnte, bestand in einer hartnäckigen Weigerung. Vom 5.Juli an hinderten irakische Behörden für mehr als drei Wochen die UNO-Inspektoren am Betreten des Landwirtschaftsministeriums in Bagdad. Aufgrund von Recherchen und Indizien — und nicht etwa wegen des populären irakischen Witzes, nach dem zwar Allah der Ernährer, Saddam Hussein aber der Unterernährer des Volkes sei — konnten sich die UN-Verantwortlichen des Verdachts nicht erwehren, daß sich dieses Ministerium weit weniger der Produktion von Weizen denn der von Waffen widme.
Die Rechtslage für eine Durchsuchung des Ministeriums war eindeutig. Gemäß der am 13.April 1991 vom Sicherheitsrat der UNO verabschiedeten Resolution 687 — sie regelt die Bedingungen des Waffenstillstandes zwischen dem Irak und der Kriegskoalition — sind die Kontrolleure der UNO ermächtigt, die zu inspizierenden Orte nach eigenem Gutdünken selbst zu bestimmen. Saddam Hussein allerdings verbat sich ein solch „beleidigendes“ Eindringen in „harmlose“ Gebäude. Und als die UN-Inspektoren Mitte letzter Woche unter Leitung des deutschen Offiziers Biermann vom Verifikationszentrum der Bundeswehr in Geilenkirchen dann doch noch in das Gebäude gelassen wurden, fanden sie, wie die Iraker ja von Anfang an treuherzig versichert hatten, selbstverständlich nichts.
Die massive Entrüstung des Wahlkämpfers Bush ob dieser jüngsten Bloßstellung der „imperialistischen“ und „beleidigenden UN-Provokateure“ vor dem Landwirtschaftsministerium scheint allerdings nicht nur dem böswilligen Zeitgenossen ein wenig merkwürdig. Beinahe jede der bisher 41 UN- Inspektionsreisen seit dem Waffenstillstand hätte Bush mühelos Anlaß geben können, außenpolitische „Profiltiefe“ zu zeigen.
Die Liste der Possen, durch die sich Saddam Hussein als souveräner Staatsmann gegen die UNO in Pose setzte, ist lang: UNO-Untersuchungen wurden bürokratisch verschleppt und Transporte erschwert, sichergestellte Unterlagen den Kontrolleuren entrissen, Kameras abgenommen und Filme zerstört. Das „einfache Volk“ attackierte UN- Leute und machte sie zeitweise zu Geiseln. Etliche Inspekteure wurden beschossen, ein UNO-Mitarbeiter mußte in Ausübung seiner Mission sein Leben lassen. Streit zwischen UNO und irakischer Führung gab es vor allem bezüglich der Vernichtung sämtlicher irakischer Massenvernichtungswaffen nebst deren Produktionsanlagen, wegen des genauen Grenzverlaufs zwischen Irak und Kuwait, der Modalitäten des irakischen Ölexports und wegen der Anwesenheit der UN-Inspektoren.
Allen Behinderungen und Übergriffen zum Trotz stellten die UN- Prüfer dennoch fest, daß im Irak bis in die jüngste Gegenwart hinein ein umfängliches Entwicklungsprogramm für nukleare, biologische und chemische Waffen betrieben wurde. Statt der offiziell zugegebenen Giftgasmenge von 650 Tonnen fanden sich beispielsweise in der „Pestizid“-Fabrik Butana bei Samarra 3.000 Tonnen Kampfgas. Zwar habe die UNO, so das Resümee der Prüfer, redlich versucht, Saddam Hussein durch ein umfängliches Programm zu kontrollieren und zu bessern. Aber statt das völkerrechtliche ABC halbwegs stottern zu lernen, buchstabiert der irakische Präsident nach wie vor: Atomwaffen, Biologische Waffen, Chemische Waffen.
Nach der erfolglosen Durchsuchung des Bagdader Landwirtschaftsministeriums betonte Regierungssprecher Fitzwater zwar, die Krise sei „vorerst beigelegt“. Aber schon am Tag darauf verwies Baker auf die irakischen Schiiten als „neues“ Opfer Saddam Husseins und sicherte ihnen jegliche Unterstützung in ihrem Kampf um Demokratie und Freiheit zu. Wie die Kurden im Norden so werden sich auch die Schiiten im Süden noch der „Unterstützung“ anläßlich ihrer letzten Aufstände erinnern, die jeweils durch Saddam Hussein mit einem Massaker beendet wurden. Und mit welcher Hilfe könnten Kurden und Schiiten bei einem neuerlichen Aufstand gegen Hussein schon rechnen?
Mit warnenden Worten an den Bagdader Präsidentenpalast ist im Wahlkampf nichts zu gewinnen. Je länger Bush verbale Drohungen ausstößt, desto mehr klingt es in den Ohren der Wählerschaft, als wolle er Hussein mit Wattebäuschen steinigen. Wenn Bush wieder Herr der internationalen Abendnachrichten werden will, wenn er an das Popularitätshoch der Operation Wüstensturm anknüpfen will — dann muß er militärisch handeln.
Völkerrechtlich wäre ein solches Vorgehen gedeckt. Doch das Abenteuer will genau kalkuliert sein. Dieses Mal wird Bush ein klares Wort bezüglich der Kriegsziele verlieren müssen. Einzelne Bombardierungen ausgewählter Ziele könnten Saddam Hussein, der den „Wüstensturm“ — im Gegensatz zur notleidenden irakischen Zivilbevölkerung — überraschend schnell verwunden hat, möglicherweise eher nutzen denn schaden. Zumindest wäre eine Welle der Solidarität in der arabischen Welt denkbar. Bezahlen würde die nicht bestellte Zeche wieder nur die irakische Zivilbevölkerung.
Längst hat Bush erkannt, daß es ein Kardinalfehler war, Hussein im Amt zu belassen, um ein Auseinanderfallen des Irak und eine Stärkung des Iran zu verhindern. Ein Fehler, der ihn nun zum Rentner machen könnte. Wichigstes Ziel eines neuen Krieges ist daher der Kopf Husseins. Ohne langwierigen Aufmarsch von Bodentruppen allerdings ein fernes Ziel. Ohne Saddam im Triumphzug aber stünde Bush schnell vor der Frage, warum er ausgerechnet bei einem fernen Nachbarn fruchtlose Löschversuche unternehme, während es im eigenen Haus schwele.
Bushs Schwierigkeit beim Übergang von der verbalen zur realen Artillerie verweist auf ein altbekanntes Dilemma der amerikanischen Außenpolitik. An derem einen Pol findet sich ein ausgeprägtes Sendungsbewußtsein, Frucht der ständigen Tendenz zur moralischen Selbstüberhöhung. Auf dem anderen Pol konzentrieren sich die Kräfte des „Rückzugs auf sich selbst“, der splendid isolation. Ohne das Bild eines mächtigen Teufels vor Augen konnte weder der erste noch kann jetzt das zweite Kreuzzugunternehmen Bushs gestartet werden. Das Problem dieser Politik besteht darin, daß nur die vollständige Niederschlagung des Bösen die Befriedigung verschafft, nach der der Geist des Puritanismus dürstet. „Die Entscheidungsschlacht“, schrieb Clausewitz, „gleicht der baren Zahlung im Wechselgeschäft.“ Weil die innen- wie außenpolitischen Risiken (die eigenen Opfer und das Hochkommen eines neuen Bösewichts, Iran) schwer kalkulierbar sind, könnte der Preis für einen neuen Triumph des Guten zu hoch sein. Daher auch die kontroverse Diskussion des Für und Wider eines erneuten Kriegs gegen den Irak in der amerikanischen Öffentlichkeit. „Es gibt keine Alternative. Es muß alles unternommen werden, um den Schlächter von Bagdad und seine verbrecherische Clique ein für allemal hinwegzufegen“, meinen die einen. „,Assassinate Saddam Hussein!‘, das klingt doch angesicht der Gegebenheiten und der möglichen Opfer wie der Traum eines Haschischrauchers“, halten die anderen dagegen. Jenseits aller populistischen Kalküle mag den Menschen Bush freilich auch die Vorstellung quälen, sein persönlicher Feind Hussein könnte noch im neuen Präsidentenpalast — mit dessen Bau soeben begonnen wurde — am Tigris sitzen, wenn er längst als Ruheständler in Kennebunkport Briefmarken sortiert. Walter Saller
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