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Archiv-Artikel

ENTSCHEIDENDES DETAIL: EINE AUSTRALIERIN BEWIRBT IHR DIÄTBUCH MIT DEM ANGEBLICHEN HEILEN IHRER KREBSERKRANKUNG. DABEI IST SIE GAR NICHT KRANK Sauberes Leben

Eines lieben Australier noch mehr als Helden: eine hübsche Heldin fallen zu sehen

AUS MELBOURNE URS WÄLTERLIN

Australier lieben Helden, vor allem wenn sie weiß sind, jung, hübsch und blond. Belle Gibson hat alle diese Attribute. Und sie hat KREBS. Im Gehirn. Bösartig. Scheinbar unheilbar. Ein Albtraum für sie – ein Traum für die Boulevardmedien. Denn Gibson gab an, sie besiege die Tumoren statt mit Chemo und Bestrahlung mit natürlicher Vollkosternährung und einer ganzheitlichen Lebensphilosophie – „clean living“.

Über Nacht wurde sie zur Sensation. Die Trash-Journaille folgte der 26-Jährigen auf Schritt und Tritt. Ein schönes Fernsehbild zum Feierabend: Gibson sah trotz ihrer scheinbar tödlichen Krankheit immer aus wie ein Fotomodell. Als sie begann, ihr „Geheimrezept“ zu vermarkten, folgte ein spektakulärer kommerzieller Erfolg.

„The Whole Pantry“ (Die ganze Vorratskammer) heißt ihr Kochbuch – ein Bestseller. Auf Facebook und Instagram hat die Frau Hunderttausende von „Freunden“. Apple wolle das Programm auf der neuen Apple Watch lancieren, hieß es. Dann kamen Zweifel an ihrer Geschichte auf.

„Sie schrieb auf Facebook, sie sei den ganzen Tag beim Arzt gewesen. Dabei war sie beim Zahnarzt, für teure Porzellanfüllungen“, schrieben Freunde im Netz. „Sie tat so, als sei sie wegen des Krebses in Behandlung“, meinte auch eine frühere Mitarbeiterin. Australische Ärzte hatten schon lange erklärt, dass sich eine Krebskrankheit, wie Gibson sie haben sollte, wohl kaum einfach in Luft auflösen würde. Fälle von unerklärbaren Heilungen gebe es zwar hin und wieder, meinte der Chirurg Andrew Kaye von der University of Melbourne, „aber das ist vielleicht einer von vielen, vielen Tausend“. Gibson mache vielen falsche Hoffnung, so der Vorwurf.

Berichte von Schwerstkranken, die Biokarotin wählten statt Bestrahlung, machten die Runde. Die Zweifel an Gibsons Krankheitszustand verbreiteten sich im Internet wie ein metastasierendes Karzinom. „Bell Gibson Uncovered“, eine Hassseite auf Facebook, begann Bilder von der jungen Frau beim Biertrinken zu veröffentlichen. Gibson zeigte sich kämpferisch, dann ausweichend. In einem Interview meinte sie, ihre Aussage vom letzten Jahr, der Krebs sei in Leber, Milz, Gebärmutter und ins Blut metastasiert, habe auf einer „Fehldiagnose“ beruht.

Auf die Fragen, wer denn ihre Ärzte seien, gab sie ausweichende Antworten. Gibson begann sich abzukapseln. Die „Whole Pantry“-Internetseite wurde geschlossen, ihr Verleger rief das Buch vom Markt zurück. Gibson wird inzwischen viel Schlimmeres vorgeworfen, als nicht an Krebs zu sterben.

Karitative Organisationen meldeten, sie hätten versprochene Schenkungen nie gesehen. Das Versprechen, einen wesentlichen Teil der Einnahmen aus Buch- und App-Verkäufen an Hilfsorganisationen zu überweisen, war Teil von Gibsons Marketingplan gewesen. Das habe sie getan, behauptet die junge Entrepreneurin, Hunderttausende von Dollar. Die Konsumentenaufsichtsbehörde des Bundesstaates Victoria ermittelt. Hat Gibson das Geld zurückbehalten, drohen ihr 12 Monate Haft.

Nun ist es still geworden um Gibson. Ihr Versprechen, die „Missverständnisse“ und „Unwahrheiten“ vor der Öffentlichkeit aufzuklären, hat sie bisher nicht eingehalten. Der Deal mit Apple dürfte hinfällig sein. Nur die Boulevardmedien stehen ihr noch zur Seite: diesmal blutlüstern und gnadenlos. Denn eines lieben Australier noch mehr als Helden: einen Helden – oder noch lieber eine hübsche Heldin – fallen zu sehen.