EINE SEILBAHN ÜBER DIE ELBE VON ST. PAULI ZU DEN MUSICALTHEATERN WÄRE EINE ATTRAKTION FÜR HAMBURG. ABER ATTRAKTIONEN SIND SCHEISSE : Die Würde der alten Dame
KATRIN SEDDIG
Eine Seilbahn soll in Hamburg gebaut werden. Jedenfalls, wenn es nach der Firma „Stage Entertainment“ und der österreichischen Seilbahnfirma „Doppelmayr“ geht und auch nach den 14.500 Leuten, die für ein Bürgerbegehren für eine Seilbahn abgestimmt haben. Die Seilbahn soll St. Pauli mit dem Musicalgelände verbinden.
Warum aber sollen wir, zum Beispiel ich, die sich im Leben nie ein Musical ansehen würde, eine Seilbahn wollen? Denn das sollen wir, wir sollen eine Seilbahn wollen. Weil, das sagt Herr Magold, einer der drei Initiatoren des Bürgerbegehrens „Hamburger Seilbahn“, sie eine Attraktion für Hamburg wäre. Dies wäre auch schon das einzige Argument, das zählen könnte, denn der „Sprung über die Elbe“, mit dem auch geworben wird, erfolgt zielgenau auf das Musicalzelt und sonst nirgendwohin.
Freilich könnte man dann auch vor dem großen Zelt aussteigen, nicht reingehen und sich gar kein Musical ansehen. Ginge alles. Spring über die Elbe. Fall nicht zufällig in ein Musicalzelt. Dass die Seilbahn den Steuerzahler nichts kosten soll, stellt eigentlich kein eigenes Argument für die Sache dar, denn keine Seilbahn kostet den Steuerzahler auch nichts.
Wenn die Attraktion allerdings das einzige und Hauptargument für die Seilbahn ist, dann muss die Attraktion etwas Gutes sein. Ist eine Attraktion etwas Gutes? Steht das wirklich fest?
Attraktionen gibt es im Zirkus, im Disneyland und in Las Vegas. Braucht Hamburg Attraktionen? Hamburg, die elegante, alte Dame – will sie sich eine Attraktion an die Bluse stecken? Hat sie das nötig, wie Herr Magold meint? Ist so eine Seilbahn nicht vielleicht unglaublich albern und sogar peinlich, nimmt sie uns, der Stadt, dem Hafen nicht die Würde? Ist diese alte Dame Hamburg nicht für ihren hanseatischen Stil und ihre Zurückhaltung bekannt, muss sie sich ausstaffieren wie ein billiges Flittchen, und das nur, um sich zu prostituieren? Für Geld von der Sorte Touristen, die auf Attraktionen aus sind? Denn um nichts anderes geht es hier, um Geld, das jemand verdienen will. Das ganz gewiss nicht mir und dir zugute kommt.
Ich besuche keine Musicals und will nicht Seilbahn fahren. Ich finde Seilbahnen nicht mal in den Bergen gut. Aber wenn diese Seilbahn gebaut werden sollte, werde ich immer, wenn ich den Hafen besuche, dieses elende Ding in gigantischer Höhe entlangsurren sehen.
Es ist alles, rings um uns, bestimmt von Kommerz und Konsum. Wir können uns nicht davon befreien, wir stecken selbst ganz tief mittendrin. Wir kaufen ein und wir verkaufen unsere Arbeitskraft, wir werben und wir werden beworben, wir zahlen für jeden Schritt, den wir tun, und strampeln uns ab, damit wir nicht zu den Einwohnern der Stadt gehören, die ganz unten auf dem Rasen schlafen und auch die müssen mittun und sich ihren Wein im Laden kaufen und auch die kurbeln ein bisschen die Wirtschaft mit an.
Wenn ich am Hamburger Hafen bin, will ich die Schiffe sehen und das blinkende Wasser, ich will den Himmel sehen, und die Wolken und den Mond, aber ich will über mir keine verdammten Gondeln sehen, ich will nicht eingesponnen werden von sirrenden, surrenden Drähten, ich will nicht wie in einem Netz sitzen und Touristen über mich hinwegfahren lassen, Touristen, die Attraktionen brauchen, um uns zu besuchen, denen diese großartige Stadt nicht Attraktion genug ist.
Eine Seilbahn stellt vielleicht tatsächlich eine Attraktion dar, aber Attraktionen sind scheiße. Sie beschädigen unsere Stadt. Sie beschädigen unser Antlitz und unsere Würde. Und schlussendlich, Herr Magold, haben Sie denn überhaupt keinen Geschmack? Katrin Seddig ist Schriftstellerin und lebt in Hamburg, ihr jüngstes Buch, „Eheroman“, erschien 2012 bei Rowohlt. Ihr Interesse gilt dem Fremden im Eigenen