■ EIN SOFTDRINK-TEMPEL ALS ATTRAKTION: Die immerwährende Liebesäffäre zwischen Produkt und Konsumenten will das Cola-Museum in Atlanta dokumentieren
Die immerwährende Liebesäffare zwischen Produkt und Konsumenten
will das Cola-Museum in Atlanta dokumentieren
VONBERNHARDMEHNKE
Mit den Jahren ist das einstige Zentrum der Südstaatenmetropole Atlanta ziemlich heruntergekommen: Kein Slum zwar, aber eine harte Gegend mit vernarbten Geschäftsfassaden und verwahrlosten Straßen, Drogenelend und Kleinkriminalität. Jetzt, wo der Countdown für Olympia 1996 läuft, wird das historische Viertel neben der neuen Downtown mit ihren postmodernen Wolkenkratzern mächtig aufgemöbelt. Die unterirdische Einkaufspassage „Underground Atlanta“ nahe der Marta-Station „Five Points“ — „Marta“ steht für die S-Bahn der Stadt — ist nur ein Vorbote des Wandels.
In der mit künstlichem historischem Ambiente staffierten Shopping-Meile drängeln sich mehr Fremde als Einheimische an den Boutiquen, Souvenirläden und Restaurants vorbei, um schließlich auf einem gepflegten Platz mit Springbrunnen und Ruhebänken über das nächste Besuchsziel nachzudenken. Viele der Touristen aus nah und fern haben dieselbe Idee und stehen bald in einer wohlgeordneten Schlange, die sich am Rande des großzügigen Platzes aufgebaut hat.
Über ihnen schwebt eine riesige Weltkugel, die zwischen stilisierten Längen- und Breitengraden aus Metall rotiert. Auf der roten Kugel prangt ein weißer weltbekannter Schriftzug — eine dreidimensionale Leuchtreklame aus Stahl und Neon.
It's the real thing...
Auch die berühmteste Firma Atlantas hat keine Kosten gescheut, „Five Points“ vor etwas mehr als einem Jahr ein neues Wahrzeichen und einen neuen Touristenmagneten zu bescheren. Schließlich lag nur wenige Schritte vom 15 Millionen Dollar teuren Klotz aus Beton und Sandstein entfernt jener Ort, wo 1886 der coffeinhaltige Softdrink zum ersten Mal gebraut wurde. Rein zufällig. Jacobs Laden, in dem die weltbeglückende Großtat geschah, ist schon lange abgerissen. Dafür können nun die Interessierten im Innern des konzerneigenen Museumspalastes der hundertjährigen Geschichte der braunen Limonade huldigen, die ihren Siegeslauf als Mittel gegen Kopfschmerzen und Erschöpfung begann.
Punkt 10 Uhr öffnen sich die Pforten in das postmoderne Heiligtum, das jährlich eine halbe Million Jünger anzieht. Die Besucher, die fast andächtig auf dem hochstrebenden Säulenplatz gewartet haben, steigen die fünf Stufen in die halogenbeleuchtete Eingangshalle empor, bezahlen rund fünf Mark Eintritt und lassen sich vom rot-weiß gekleideten Personal auf die Fahrstühle verteilen. Im dritten Stock beginnt die „Welt von Coca-Cola“, wie der Prestige-Pavillon offiziell heißt: Eine Filmklamotte über die Suche nach einer Erfrischung begrüßt die Gäste im Endlosbetrieb.
You can't beat the feeling...
Langsam schieben sich die Eltern mit ihren quirligen Kindern von einem Höhepunkt der Firmenchronik zum nächsten. An der Vitrine mit dem Notizbuch, in das der Saft-Erfinder John Pemberton auch seine geheimnisumwitterte Formel schrieb, drücken sich auch die Erwachsenen fast die Nasen platt. Das bestgehütete Rezept der Welt bleibt aber so geheim wie das interne Telefonbuch des Pentagon.
Erfolglos blieb die Konkurrenz auch mit ihren Imitationen der legendären bauchigen Glasflasche, dem Markenzeichen schlechthin. Das begehrte Sammlerobjekt war bis 1955 die einzige Verpackung, in der die Limonade in die Läden kam. Doch auch das ist längst Geschichte. Um den Getränkekonsum anzukurbeln, wird an anderer Stelle erklärt, erfand der Konzern nicht nur das handliche Sixpack, sondern weit profanere Umhüllungen für die Masse. Fürs Image dagegen bescherte er den Challenger-Astronauten 1985 die Büchse für die Schwerelosigkeit. Der amerikanische Nationalsprudel im All — das Ereignis erscheint den Besuchern plötzlich spektakulärer als die Mondlandung.
Souvenir of the earth...
Rund 1.000 Ausstellungsstücke illustrieren den kometenhaften Aufstieg vom Kleinstabfüller am Apotheken- Tresen zum Welt-Getränke-Konzern Nummer eins: historische Dokumente, alte Abfüllgeräte und allüberall die diversen Mittel der gigantischen Werbefeldzüge. Vom Art-deco-Plakat über Radiospots bis zur Lifestyle-Filmreklame unserer Tage — alles, was dem Glanz des braunen Sprudels dient, präsentiert sich lückenlos, multimedial und computergesteuert.
„Coke über alles“ ist auch die unverfrorene Botschaft, mit der der Getränkegigant Weltgeschichte in übergroßen Cola-Büchsen zeigt. In diesen Videokabinen flimmern auf Knopfdruck in zweieinhalb Minuten langen Häppchen zwei Weltkriege vorbei, die goldenen Zwanziger und die große Depression, die Freilassung Nelson Mandelas und die deutsche Einheit. Der Softdrink war immer dabei. Penetrant herausgestellt durch die Hits der jeweiligen Werbekampagne.
Things would have gone better...
Auch der freie Ausschank der Konzernlimonaden wird als aufwendiges High-Tech-Spektakel inszeniert. Der Limo-Saft saust, unterstützt von Geräuscheffekten und Laser-Illusionen, auf schier unergründliche Weise durch eine „kinetische Skulptur“. Dahinter verbirgt sich ein Riesensprudelautomat im futuristischen Design. Der dagegen blasse Einweg- Pappbecher ist im Nu und ohne Überschwappen gefüllt. Eine wahre Sensation besonders für die Kids. Im Hintergrund berieseln derweil internationale Werbespots auf etlichen Monitoren die gespenstische Szenerie. Doch damit noch nicht genug. Um der Geräuschkulisse zu entfliehen, müssen die abgefüllten Besucher noch das Andenken-Paradies des Sprudel-Giganten durchschreiten. Auf Hunderten von Quadratmetern stapeln sich Postkarten, T- Shirts, tanzende Büchsen mit Sonnenbrillen und allerlei Reproduktionen von Plakaten; alles in den bekannten Markenfarben. Das billigste Souvenir ist ein Plastikbecher für schlappe 35 Cents, das teuerste eine Juke-Box für mal eben 7.000 Dollar.
I'd like to buy the worlda...
Damit wolle Coca-Cola kein Geld machen, beteuert der Museumsvorsteher Marc Grauer. Alles seien nur Selbstkostenpreise. Aber warum der ganze Rummel? Mit seinem Limonadenpavillon, antwortet er, wolle das Unternehmen „die immerwährende Liebesaffäre zwischen dem Produkt und seinen Konsumenten dokumentieren“. Nun, den angesprudelten Fans scheint es zu gefallen, wie der amerikanische Traum vom weltumspannenden Erfolg im Cola-Tempel zelebriert wird. Die meisten treten jedenfalls mit entspannten Gesichtern wieder hinaus auf den schwülwarmen Vorplatz, die Werbejingles im Ohr und die Souvenirs unterm Arm.
Unter der rotierenden Weltkugel warten derweil noch immer Touristen auf Einlaß, so geduldig, ja fast schon demütig, als hofften sie im Innern des Cola-Paradieses das wahre Geheimnis Amerikas zu entdecken. Und wenn sie es in der Softdrink- Welt doch nicht finden — Atlanta spendet Trost, denn schließlich hat die Metropole ja noch andere Erfolgsstories zu bieten...
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