EIN GESETZ ÜBER ANONYME GEBURTEN IN DEUTSCHLAND IST UNNÖTIG : Namenlosigkeit schützt Kinder nicht
Ein Gesetz über anonyme Geburten wird es in Deutschland wohl nicht so bald geben. Auch das gestrige Urteil des Europäischen Gerichtshofs für Menschenrechte, der eine entsprechende Regelung in Frankreich akzeptiert hat, vermag die Diskussion in Deutschland nicht neu auszurichten.
Denn zum einen fiel das Urteil mit zehn zu sieben Stimmen ziemlich knapp aus. Zum anderen war selbst die Mehrheit der Straßburger Richter nicht davon überzeugt, dass anonyme Geburten ungewollte Kinder effizient vor der Tötung oder Aussetzung schützen. Frankreich wurde lediglich ein Einschätzungsspielraum zugestanden. Das Urteil spiegelt also ziemlich genau die Skepsis, die nach einer anfänglichen Euphorie inzwischen auch in Deutschland herrscht.
Am Beginn der deutschen Diskussion standen die Babyklappen. Meist kirchlich orientierte Lebensschützer wollten Frauen in Not eine Möglichkeit geben, ihr Kind anonym in Obhut zu geben. Zu Recht werden diese Projekte kritisiert, weil sie auf das Baby fixiert sind und die Gesundheit der oft allein gebärenden Frauen vernachlässigen. Insofern ist die Möglichkeit der anonymen Geburt im Krankenhaus die konsequente Weiterentwicklung der Babyklappen-Idee.
Es fehlt allerdings nach wie vor der Nachweis, dass anonyme Geburten tatsächlich Leben retten. Wenn, wie in Hamburg, die Zahl der ausgesetzten Kinder nach Einführung der Babyklappe nicht zurückgeht, dann spricht viel dafür, dass mit der anonymen Geburt vor allem Mütter erreicht werden, die sonst „normal“ geboren hätten.
Die Mütter mögen ihre Gründe haben, ihren Namen nicht zu nennen. Doch leiden anonym geborene Kinder später oft so unter dem mangelnden Wissen über ihre Herkunft, dass sie psychisch krank werden. Es gibt daher wenig Grund, die anonyme Geburt per Gesetz auch noch zu fördern.
Außerdem weist schon heute kein Krankenhaus eine Frau, die kurz vor der Geburt steht, ab. Und wenn sie dann einen falschen Namen angibt, bevor sie verschwindet, dann ist auch das de facto eine anonyme Geburt. Diese Möglichkeit hatten die Frauen schon immer, und sie genügt wohl auch.
CHRISTIAN RATH