EIN FRÜHSTÜCKSDRAMA : Die Nahtoderfahrung
Ich frühstücke gerade, ganz schlicht, als auf einmal was passiert, was gar nicht schlicht ist, sondern heldenhaft: Ich rette Leben. Ist zwar nur das Leben einer Fliege, aber Leben ist Leben, so viel Tierliebe muss sein. Die Fliege stellt meine Tierliebe aber gleich voll auf die Probe: Kaum habe ich sie aus meiner Tasse gefischt, legt sie los, schwirrt um mich rum wie wild, brummt und fliegt und nervt. Zuckerschock, eindeutig, denn in der Tasse waren nicht nur der Tee und die Fliege, sondern auch Unmengen Honig. Und das weiß man ja von Kindern: Zu viel Zucker, und schon ist es vorbei mit der Ruhe im Haus.
Von Küken her weiß man was anderes: was man als Allererstes sieht im Leben, auf das fixiert man sich gnadenlos. Bis jetzt hatte ich gedacht, dass das nur bei Minihühnern und -enten so ist, aber anscheinend ist das auch bei anderen Tieren der Fall, zum Beispiel bei Fliegen oder zumindest bei Fliegen mit Nahtoderfahrung. Meine fast gestorbene Fliege fliegt nicht irgendwo rum, sondern gnadenlos im Kreis um mich. Ich finde das doof, aber meinen Katzen gefällt’s, und schon hab ich den nächsten Konflikt: die Katzen würden die Fliege gern kriegen. Aber das dürfen sie nicht, weil das ist ja auch klar, kleiner Prinz und Fuchs und so: Man ist verantwortlich für das, was man zähmt. Ich habe die Fliege gerettet; das ist fast wie zähmen, würde ich mal sagen.
Meine Katzen sehen das anders. Obwohl, erklären tu ich’s ihnen jetzt nicht detailliert, ich sage nur immer wieder „Nein“, denn nun landet die Fliege auch mal, anstatt nur zu kreisen. Sie landet ausschließlich auf mir, Hand, Ellenbogen, Knie, wegen Fixiertsein und so. Die Katzen fahren die Krallen aus. „Nein“, sag ich wieder, aber es ist zu spät. Die Katzen versenken ihre Krallen in mir. Ich blute. Auch der Fliege geht’s nicht gut. Ganz schlecht geht’s ihr, muss ich mal sagen. Zumindest aber nervt sie mich nicht mehr. JOEY JUSCHKA