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Archiv-Artikel

EIN DURCHWACHSENER TRANSMEDIALE-AUFTAKTABEND IM WMF BEGINNT MIT EINER RUTSCHPARTIE. DAS KONZERT VON PLANNING TO ROCK IST DER LICHTBLICK Wenn der Unterkiefer mahlt

VON JULIAN WEBER

Dieser Januar bot ideales Spion-Austausch-Wetter. Man hätte stundenlang an der Glienicker Brücke ausharren wollen. Nicht ganz so glamourös mag es da anmuten, im nächtlichen Dauerfrost in einer Schlange vor dem WMF zu stehen. Präzisiere: in einer Schlange auf abschüssigem Eisboden zu stehen. Das musste, wer am Freitagnacht vor dem WMF seine Transmediale-Akkreditierung abholen wollte. Der Akkreditierungsvorgang begann in einem Partyzelt – so blieb man wenigstens windgeschützt. Ein einsamer Heizpilz schmurgelte die Zeltdecke an, brachte die schiefe Eisbahn am Boden aber nicht zum Schmelzen. So schlitterten selbst die bestbekreppsohltesten Künstler, Gäste und Journalisten mehrreihig an die Pressetische, nur um dort festzustellen, dass Transmediale und Club Transmediale zwei verschiedene Paar Schneeschuhe sind und die Akkreditierungen der Transmediale nicht an das WMF, den Spielort des Club Transmediale, weitergeleitet waren. Dass man doch reinschlitterte, war dem Goodwill eines freundlichen Bouncers zu verdanken.

Drinnen war’s auch nicht unfrostiger: Der afroamerikanische DJ Mount Sims ließ zur Einstimmung ein klirrendes Technoset von den Plattentellern, als gelte es, die letzten Kraftreserven für die Afterhour zu mobilisieren. Alle wollen gerne mit 210 km/h und Lichthupe auf der Überholspur dem Alltag entbrettern. Sims’ Brutalpogo hatte etwas Überambitioniertes. Zumal sich im Trockeneisnebel erst allmählich die steifgefrorenen Glieder lockerten.

Diese Saison läuft die Transmediale unter dem Motto „Overlap – Sound & Other Media“. Es geht darum, wie elektronische Musik immer stärker im Verbund mit anderen Gestaltungsformen in Erscheinung tritt. Das bewahrheitete sich auf eigenartige Weise, als Al Doyle und Felix Martin von der britischen Band Hot Chip Mount Sims am DJ-Pult ablösten. War ihr DJ-Set ein Showcase für das zeitgleich erscheinende neue Hot-Chip-Album „One Life Stand“? Eher nein, denn das Duo legte etwas gesichtlosen Spätminimal auf. Nutzten die beiden ihren Bekanntheitsgrad als Hot-Chip-Bandmitglieder, um sich an die Berliner Clubkultur ranzuschmeißen? Ja, ein bisschen. Doch deren zahlreich anwesende Protagonisten nahmen von den beiden allenfalls im Vorbeigehen Notiz, während einige unentwegte Hot-Chip-Fans das DJ-Pult ehrfürchtig wie eine Konzertbühne anstarrten. Von dem Szenario an den Plattenspielern gibt es nichts Außergewöhnliches zu berichten. Noch am interessantesten die Tatsache, dass der Unterkiefer von Al Doyle besonders beim Ausknipsen der Bassdrum mahlte. Dass beide Musiker hinterher bei der Performance der Musikerin Planning to Rock sich wie selbstverständlich in die Zuschauer einreihten, spricht dann andererseits für die integrative Kraft der Transmediale. Viele auch international bekannte Künstler waren an diesem Abend ins WMF gekommen, niemand hinderte sie am Vergnügen.

Der Auftritt von Planning to Rock alias Janine Rostrom war ein Lichtblick. Die in Berlin lebende britische Musikerin performte die Songs ihres noch unveröffentlichten zweiten Albums „Plan 9“. Nach jedem Song entknöpfte sie eine Schicht ihrer weißen Bühnengarderobe. Die Kleiderschichten passten zu Rostroms Stimmumfang, der mehrere Oktaven umfasst. Rostrom setzt ihre Stimme – auch live – expressiv ein, als Kontrast zu introspektiver Home-Elektronik und stotternden Beats.