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Archiv-Artikel

EIN ABEND MIT KUNSTVOLLEM BRIEFMARKEN-DADA, PATTI SMITH UND FARBENFROHEN HARTGETRÄNKEN IN DER SUBKULTURELLEN SCHANKWIRTSCHAFT RUMBALOTTE Trinken als Kunstwerk

VON INGO AREND

Als wir reinkommen, hockt Bert an der Theke und löst Kreuzworträtsel. Ich hätte good old Papenfuß fast nicht erkannt. Der Punkpoet aus der DDR trägt jetzt graumelierten Vollbart unter der Lederkappe. Und sieht aus wie ein Flaschensammler auf Nachtschicht, der sich gerade aufwärmt. Aber Flaschensammler tragen meist keine Nietenjacken und Zimmermannshosen. Durch den Laden schwirren ein paar Typen mit Rahmen und Hammer und hängen Bilder auf. „Sind noch nicht so weit“, grummelt Bert, ohne aufzusehen. „Trinkt schon mal was.“

Der Prenzlauer Berg ist ja inzwischen ein nachhaltiger Mittelschichtenfriedhof. Aber wenigstens in Berts Schankwirtschaft Rumbalotte am Senefelder Platz, vis-à-vis dem Metzer Eck, wo sich Wolfgang Hilbig zu Lebzeiten immer ordentlich zugezogen hat, lebt die Subkultur noch. Den amerikanischen Politlyriker Jack Hirschman hat es schon in diese Spelunke verschlagen, die Bert nach seinem Ausstieg aus dem Kaffee Burger eingerichtet hat. Auch die Kunst-und-Literatur-Zeitschrift floppy myriapoda – Subkommando für die freie Assoziation schmeißt hier ihre Premieren. Am Tresen gibts die Zeitschrift Gegner – zu „wechselnden Preisen“.

Von der bürgerlichen Presse hält die Rumbalotte nicht so viel. Wer sich auf den Kopf stellt, kann die Schlagzeile „Bohlen unter Druck“ auf dem verkehrt herum aufgehängten Cover von TV-Direkt hinter der Theke gut lesen.

Die toten Mittelschichten schauen ringsherum in ihren Eigentumswohnungen Fernsehen auf Großbildschirmen. Durch die zum Bersten gefüllte Rumbalotte stolziert währenddessen ein agiler Senior in weißem Rüschenhemd und rotem Samtblazer und schüttelt den pechschwarz gefärbten Haarflaum wie Rod Stewart auf „Atlantic Crossing“. Ein paar rasierte Damen sehen aus wie die DDR-Punker auf Clemens Gröszers Ölschinken aus den Achtzigern.

Fünfzig von Berts Künstlerfreunden haben jeweils ein Werk für eine Benefiz-Aktion herausgekramt, um seine finanziell schwächelnde Kneipe wieder in Schwung zu bringen. Durch den dichten Zigarettenqualm sieht alles ziemlich kleinteilig und neoexpressiv aus, Briefmarken-Dada mit pastosem Auftrag. „Sacre-Sucre-Sartre“ steht auf einer Textcollage.

Roey, den jungen israelischen Künstler, interessiert mehr das Video im Nebenraum. „Sieht cool aus“, sagt er, als wir uns anschauen, wie der junge Kippenberger 1982 im Ratinger Hof im Anzug auf ein Schlagzeug drischt. Für die ergrauten Punker heult irgendwann Patti Smiths Evergreen aus den Boxen: „Because the night“.

Semipoetisches Pokerface

Den Rentner neben mir an der Theke interessiert das alles wenig. In unregelmäßigen Abständen entfahren ihm elektroschockartig Ausrufe wie „Hah!“, „Scheiße“, „Wahnsinn“. Hinter mir wünschen sich ein paar Gäste von Käpt’n Graubart, der mit glimmender Kippe und semipoetischem Pokerface durch die Menge tigert, dass die Rumbalotte eine „schöne linke Kneipe“ bleibt. Und laben sich am kulinarischen Brutalismo. Dennis isst Gurke mit Brot. Stephanie trinkt „Beton“: Becherovka mit Tonic. „Das kann doch nicht wahr sein“, schreit mich ein Kurator an, der mich erkannt hat. „Da schickt man dir ständig Vernissageneinladungen, und dann kommt du in diese Bude.“

„Das ist übrigens mein Kunstwerk“, sagt irgendein Jürgen plötzlich hinter mir und bestellt sich eine flüssige Rumbalotte. Er deutet auf das Plakat hinter dem Tresen. „Do not drink as a trigger for experiences. Drink as an Artwork“, steht darauf in zwei schlichten schwarzen Sätzen. Schöne Metapher, scheitert aber sicher an der Praxis. „Und wie geht das?“, frage ich skeptisch. „Mach einfach den Mund auf“, rät er mir und kippt das ockerfarbene Gebräu aus Ratzeputz und Ginger Ale auf Ex. Ich hebe meinen magentafarbenen Rotwein, Hausmarke. Er hat recht. Es geht wirklich ganz leicht.