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Archiv-Artikel

E-MAIL VON „EMMA“ ODER DIE ISLAMISIERUNG DER TÜRKEN Meine Mudda gehört zu Deutschland

DENIZ YÜCEL

Emma macht eine Umfrage bei fortschrittlichen Frauen und Männern in Deutschland aus dem muslimischen Kulturkreis. Wir wollen damit dazu beitragen, dass der ‚Dialog‘ zwischen Politik und MuslimInnen (?) auch mit der Mehrheit der demokratischen MuslimInnen geführt wird. Dafür steht eine Stimme wie die Ihre. Wir würden uns darum sehr freuen, wenn Sie uns auf die zwei folgenden Fragen antworten: 1. Welche Rolle sollten MuslimInnen in Deutschland jetzt spielen bei dem Schulterschluss von DemokratInnen aller Provenienzen gegen den Islamismus und die Terrorismusgefahr? 2. Kanzlerin Merkel hat erklärt: ‚Der Islam gehört zu Deutschland.‘ Stimmen Sie dem zu?“

Nun, von der Anrede dieser E-Mail fühlte ich mich nicht angesprochen. Sonst hätte ich geantwortet: 1. Damit der Schulterschluss ins Rollen kommt und ihn niemand auf die leichte Schulter nimmt, dürfen die Provenienzen ihm nicht die kalte Schulter zeigen, sondern müssen jetzt eine Vorreiter- bzw. Außenseiter- bzw. Frühlingsrolle übernehmen, sodass die Opferrolle auf alle Schultern verteilt werden kann und keine Schultern zucken bzw. keine Köpfe rollen. 2. Meine Mudda gehört zu Deutschland.

Kommen wir jetzt dazu, warum ich an dieser „Umfrage“ nicht mitwirken wollte – und diese E-Mail dennoch relevant finde. Sie ist nämlich ein kleines Beispiel dafür, wie Türken zu Muslimen und Ausländer zu Andersgläubigen geworden sind.

Ich trage zwar z, y und ü im Namen, aber es gibt keinen Text von mir, aus dem man folgern könnte, ich sei „demokratischer Muslim“. Allah, sein Prophet und der Prophet sein Buch interessieren mich als journalistisches Thema, persönlich sind sie mir egal. So ähnlich geht es den meisten meiner türkischen bzw. deutschtürkischen Freunde, ob in Istanbul oder in Berlin. Sie sind keine „säkularen Muslime“, keine Aleviten, jedenfalls nicht im religiösen Sinn, und sind so betrachtet auch keine Christen, Juden oder Jesiden. Vielmehr stammen sie aus linken, liberalen, kemalistischen, PKK-nahen Familien, hatten semi-fromme Eltern, die jedoch keinen Wert darauf legten, ihre Kinder religiös zu erziehen, oder haben den Glauben ihrer Kindheit abgelegt. Sie sind Atheisten, Agnostiker oder glauben vage an eine Transzendenz. Muslime sind sie allenfalls, wenn irgendwelche Arschgeigen sie fragen – im Sinne Ilja Ehrenburgs, der mal sagte, solange es Antisemitismus gäbe, sei er Jude.

Darum ist die Zahl von weltweit 1,6 Milliarden Muslimen Unfug, weil sie auf einer Addition von Bevölkerungszahlen beruht. Ebenso Unfug ist die amtliche Angabe von 4,3 Millionen Muslimen in Deutschland. So unklar die wirkliche Zahl, so klar ist, wer ein Interesse daran hat, dass sie hoch ausfällt: Jene, die gewerbsmäßig Ressentiments verbreiten, und jene, die beanspruchen, die Muslime zu vertreten. Blind unterstützt werden sie von Leuten, auf deren Geburtstagsfeiern man keine Zetts, Ypsilons und Üs trifft, weil sie, außer vielleicht ihrem Gemüse-Ali, keine kennen. Sonst würden sie nicht so blöd fragen.

DIE FÜNFTAGEVORSCHAU | KOLUMNE@TAZ.DE

Mittwoch Martin Reichert Erwachsen

Donnerstag Margarete Stokowski Luft und Liebe

Freitag Michael Brake Kreaturen

Montag Maik Söhler Darum

DienstagSonja VogelGerman Angst

Besser: #MeineMuddaGehörtZuDeutschland.