„Durchtränkt von Blut und Tränen“

Er hat jüdische Häuser und Krematorien gemalt, aber sich nie auf eine Religion festlegen lassen. In Rendsburg spürt eine Ausstellung jetzt unbeirrt „jüdischen Aspekten“ im Werk des Künstlers Friedensreich Hundertwasser nach. Wie zahlreich und subtil die sind, erklärt Kuratorin Frauke Dettmer

FRAUKE DETTMER, 63, Kulturwissenschaftlerin und Slawistin, leitete von 2002 bis zu diesem Monat das Jüdische Museum Rendsburg.

INTERVIEW PETRA SCHELLEN

taz: Frau Dettmer, wie jüdisch war Friedensreich Hundertwasser?

Frauke Dettmer: Er hat sich nie explizit als Jude verstanden. Er war eher Atheist mit viel Sinn für spirituelle Welten. Allerdings hat ihn das, was er als Kind und Jugendlicher während der Nazi-Zeit mit seiner jüdischen Mutter erlebte, sehr beschäftigt.

Und sein Werk spiegelt das?

Ja. Hundertwasser hat – vor allem in den 50er und 60er Jahren – Bilder wie „Krematorium“ oder „Judenhaus in Österreich“ geschaffen. Sie offenbaren schon durch ihre Titel, dass es ihm sehr konkret um die Judenverfolgung durch die Nazis ging.

Würden Sie diese Bilder als Anklage deuten?

Nicht direkt. Eher als Ausdruck starken Mitgefühls, wie es im Blatt „Tränen eines Künstlers“ aufscheint. Für eine echte Anklage sind Themen und Bildfindungen nicht beißend genug. Diese Arbeiten sind eher durchtränkt von Blut und Tränen.

Verweigern diese Blätter den für Hundertwasser so typischen dekorativen Duktus?

Ja. Ich selbst war anfangs skeptisch, weil Hundertwasser ja durchaus dekorativ arbeiten kann und man dann vielleicht Tiefgang vermisst. Aber der existiert bei den Bildern unserer Ausstellung durchaus. Man spürt deutlich, wie wichtig Hundertwasser das Thema ist. Eine Art Vermächtnis.

Inwiefern?

Hundertwasser hat einmal gesagt, er habe das Gefühl, dass seine mehr als 80 ermordeten jüdischen Verwandten ihn beauftragt hätten, an ihrer Stelle etwas ganz Besonderes zu schaffen.

Meinte er mit „besonders“ eine spezielle Form künstlerischen Gedenkens?

Nein. Ich glaube, dass er es als Engagement verstand – sei es als Naturschützer, als Architekturrebell oder als mitfühlender Künstler für die Entrechteten und Verfolgten.

Wie stark wurden in seiner Familie jüdische Traditionen gepflegt?

Kaum. Schon seine Mutter hat nicht mehr jüdisch gelebt. Zudem hat sie ihn – ein Jahr, ehe 1938 die Deutschen in Österreich einmarschierten – vorsorglich katholisch taufen lassen. Das war sehr klug. Denn obwohl die Nazis die Juden als „Rasse“ und nicht als Religionsgemeinschaft definierten, konnte es überlebenswichtig sein, dass das halbjüdische Kind christlich erzogen war. Für den Grad der Verfolgung spielte das durchaus eine Rolle.

Später trat Hundertwasser in die Hitlerjugend (HJ) ein.

Eine weitere Vorsichtsmaßnahme, aber auch ein recht gefährliches Spiel: Denn wenn man bei der HJ herausgefunden hätte, dass er jüdischer Herkunft war, wäre seiner Mutter vielleicht Schlimmes widerfahren. Aber Hundertwasser hat sich das zugetraut und durchgehalten. Konkret heißt es, dass er, wenn die SS nachts Sturm klingelte, um Menschen abzuholen, mit HJ-Kappe, Armbinde und Hakenkreuz zur Tür rannte. Auf diese Art hat er die SS mehrmals zurückgehalten. Später kamen allerdings jüdische Vertrauensleute der SS. Und die ließen sich, weil sie „Quoten“ für die Deportationstransporte erfüllen mussten, von solchen Dingen nicht beeindrucken.

Wie nah hat Hundertwasser mitbekommen, dass seine Verwandten abgeholt wurden?

Er hat ganz direkt die Deportation seiner Großmutter und Tante erlebt, mit denen seine Mutter und er die Wohnung teilten. Es muss für ihn sehr einschneidend gewesen sein zu erleben, dass die bettlägerige Großmutter abgeholt wurde. Die anderen Verwandten wohnten weiter weg, und von deren Schicksal hat ihn wohl seine Mutter abgeschirmt. Aus Hundertwassers Familie haben nur seine Mutter, eine Tante und er überlebt.

Verschwinden die jüdischen Themen mit zunehmendem zeitlichem Abstand aus Hundertwassers Arbeiten?

Zentral sind hier in der Tat die 1960er Jahre, aus denen etliche Werke unserer Ausstellung stammen. In den 70ern begann er, das Thema allgemeiner zu fassen, weil ihm klar war, dass die Verbrechen gegen Unschuldige nicht mit dem Ende der Nazi-Diktatur aufgehört hatten. Auf Blättern wie „Blutregen“ oder „Die vier Fremden“ – Außenseitern, die die nächsten Opfer sein können – beginnt er das Thema auszuweiten und zu verallgemeinern.

Ist überliefert, ob Hundertwasser lebenslang unter dem Verlust seiner Verwandten litt?

Ja. Er hat immer wieder darüber gesprochen. Und er hat gesagt, es sei sein „jüdischer Teil“, dass er Trost spenden und einen Ausweg in ein Paradies hinein suchen wolle. Solche „Trostbilder“, die keine konkreten Verweise auf den Holocaust mehr enthalten, zeigen wir auch: Gärten und das Paradies sind darauf zu sehen. Eine Jenseitshoffnung scheint auf.

Ist dies auch die Idee Ihrer Ausstellung?

Ja. Wir zeigen insgesamt 26 Blätter, die vom Jugendwerk über aufwändige japanische Holzschnitte bis zu einer späten Arbeit von 1998 reichen. Angereichert ist die Schau durch Fotos und Dokumente – die HJ-Aufnahme-Urkunde zum Beispiel. Besonders anrührend finde ich die Zeichnungen des jungen Hundertwasser, die er durch Tagebuch-Notizen ergänzt hat.

Hat Hundertwasser die Deportation seiner Verwandten zum Anlass genommen, religiöse, jüdische Motive in seine Arbeiten zu integrieren?

Nein, denn er war Universalist. Markantes Beispiel hierfür ist die „Bärnbacher Andacht“, die ich zu den Trostbildern zählen würde, in denen Religion schützendes Dach für alle Menschen ist. Die „Andacht“ enthält Symbole aller Religionen – vom Davidstern bis zum Halbmond.

Man kann Hundertwasser also keiner Religion oder Konfession zuordnen?

Nein. Er hat sich aufgrund des Schicksals seiner Familie für das Judentum interessiert. Aber er hat sich keiner Religion oder Ideologie zugehörig gefühlt.

Warum legt Ihre Ausstellung ihn dann eigentlich auf sein Judentum fest?

Das tut sie nicht. Denn sie heißt ja nicht „Hundertwasser als jüdischer Maler“, sondern „Hundertwasser – jüdische Aspekte“. Und die enthält sein Werk zweifellos.

Die Ausstellung ist bis 1. 6. im Jüdischen Museum Rendsburg, zu sehen. Internet: www.schloss-gottorf.de/jm