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Durchs DröhnlandLautstärkeloser Hörsturz

■ Die besten und schlechtesten, die wichtigsten und überflüssigsten Konzerte der kommenden Woche

Ein Mann auf dem Weg zum Urgestein, das ist Chris Kiel. Süße 25 Jahre alt und singt schon wie Herman Brood, der höchstpersönlich immerhin gut zwei Dekaden Junkiesein hinter sich gebracht hat. Kiels Kapelle hat, bevor sie sich zusammenfand, tief in den Gläsern mit dem Hochprozentigen gefischt. Zum großen Teil bestehen sie aus den Überbleibseln von Gret Palucca, die an zu großer Verehrung für Nick Cave eingegangen waren. Die Herkunft ist ebenfalls stimmig, in St. Pauli ist man zuhause, die Koteletten sind exakt rasiert und rahmen die eckigen Kinnladen beeindruckend ein. Sie nennen sich Lovekrauts, was Deutschen, die auf englisch über Liebe singen, gut ansteht. Und wie das so ist bei diesen frühvergreisten Jungmännern, ist die Liebe natürlich nichts fröhliches, sondern nur Anlaß zu endlosem Leiden, zum ständigen Verlassen und wahrhaft dauerhaftem Verlassensein. Entsprechend quält Kiel sein Organ über die nur sehr dezent modernen Bluesrhythmen seiner Kapelle, aber wenn er nicht zu sehr in der Karikatur absäuft, kann man einen tiefen und manchmal wunderschönen Blick auf den Grund des geleerten Whiskeyglases werfen. Die Eiswürfel sind noch nicht ganz weggetaut.

Am 23.7. mit Swimming The Nile um 22Uhr im Franz, Schönhauser Allee 36–39, Prenzlauer Berg

So, als wäre nichts passiert, feiern die Leichen immer wieder mal fröhliche Urständ. Auch wenn dies ein Vorurteil ist, das den Punkrock allgemein ganz gerne trifft, paßt es doch nirgendwo besser als bei den Ramonez 77. Ihres Zeichens sind sie als Ramones- Revivalband schon fast älter als die Vorbilder selbst, trotz einiger Auflösungen immer wieder zusammengekommen und sperren sich noch wesentlich konsequenter gegen jedwede Form von Innovation als die hochverehrten Helden selber. Als wären mehr als 15 Jahre nicht geschehen, findet immer wieder 1974 statt, als sich Joey, Johnny, Dee Dee und Tommy zusammentaten, um die Welt mit der denkbarst reduzierten Musik aller Zeiten zu beglücken. Die Eigenleistung der Ramonez 77 besteht einzig darin, manchen Text abzuändern. So wird aus „Surfin' Bird“ hurtig „Boris Becker“, aber die Riffs und vor allem die Vortragsgeschwindigkeit bleiben beim Altbewährten. Weil der hochelegante Leichenwagen der Originale in letzter Zeit ins Stocken gekommen ist, kann man sich die deutsche Variante durchaus antun, denn sie beschwört Zeiten herauf, als Rock'n'Roll noch mehr war als nur schlicht Musik: z.B. zerfetzte Jeans, Sonnenbrillen extra dark und ausgewachsene Pilzkopffrisuren. Die Ramones sahen eigentlich immer zu bescheuert aus, als daß man hätte glauben könne, sie hätten sich selbst so erfunden. Die Ramonez 77 sind definitiv genau so geplant und deshalb leider bestenfalls Geschichtsstunde. Also genau das richtige Konzert für Kinder, die inzwischen alt genug sind, um sich für die Vergangenheit ihrer Eltern zu interessieren. Mit dabei die Bronx Boys, an denen ebenfalls einige Jahre recht spurlos vorbeigegangen sind.

Am 23.7. um 22 Uhr im K.O.B., Potsdamer Str.157, Schöneberg

Die Zukunft des deutschsprachigen Pop liegt bekanntermaßen in Hamburg. Auch wenn nach eigentlich nur kurzer Blütezeit schon die ersten Auflösungen stattfinden, noch gibt es zum Beispiel Die Sterne und immer noch spielen sie ihren Funk, der so deutsch ist und trotzdem swingt – allein das ist erstaunlich genug. Die Texte von Frank Spilker, die sich mal überaus erfolgreich dem Reimdichzwang wiedersetzen und dann wieder auch schwer poetisch werden können, lassen da Raum, wo die lockere Assoziation beim Hörer sein soll, und werden dort scharf umrissen, wo eine klare Stellungnahme nötig ist („Man würde ja lieber Ausländer sein/ Als ein gieriges, kleines Inländerschwein“). Und auch wenn Die Sterne keinen Sampler benutzen, verstehen sie sich doch nicht als Wahrer der Handmade-Musik: „Wir nähern uns dem HipHop als Rockband.“ So wie sie sich aus dem 70er-Jahre-Fundus bedienen, das nannte man früher Zitieren oder schlicht Klauen, nehmen sie sich nur das Beste, um vor allem tanzbar zu bleiben oder erstmal zu werden. Und auch wenn das Scheitern dabei vorprogrammiert scheint, sind sie doch schon ein sehr viel weiteres Stück vorangekommen als alle anderen Deutschfunkversuche vor ihnen.

Ebenfalls aus Hamburg kommen Das Neue Brot, ihres Zeichens Rabiatrocker mit Hang zum Humor. So wie sie die 70er auseinandernehmen, die Gitarren gniedeln lassen, sich die Soli überstürzen, die Riffs dröhnen und auf den Sound geschissen wird, hat das lange niemand mehr gewagt. Oder höchstens Schiffbruch erlitten. Davor wird Das Neue Brot geschützt durch den ironischen Abstand zum eigenen Tun und die hirnrissigen Texte. Ihr Schweinerock klingt trotzdem immer satt und klasse. Bereits das Zeitliche gesegnet von der Hamburger Welle haben Huah. Teile von denen kommen jetzt als Knarf Rellöm Sichtweise. Damit die Hanseaten nicht ganz unter sich bleiben, wird der Abend eröffnet von Stereo Total, einem Lolitas-Nachfolgeprojekt, das sich an Schlagern – ist das jetzt noch oder schon wieder originell? – versucht.

Am 24.7. ab 20Uhr auf der Insel, Alt-Treptow 6, Treptow

Der „Kümmerling“ ist ein kostenloses Magazin der Veranstaltungsorte K.O.B., Schoko-Laden, Anschlag, SO 36, Wasserturm, Eisenbahner, AFFI und Ex. Konzerte, Filme, Parties und Theater werden halbwegs übersichtlich und wenig ausführlich angekündigt. Die Eigenwerbung geht mit einer „Kümmerling-Party“ in eine neue Runde, damit das Kultursterben kurz hinter dem hochsubventionierten Kulturbetrieb zum Stehen kommt. Mitfeiern werden Ich-Funktion und Slick aus Ostberlin.

Am 24.7. mit Tombola und Disco um 22Uhr im K.O.B.

Es gibt Menschen, die singen einen guten Song und haben fortan ein Leben lang ihr Auskommen damit. Katharina Franck ist so ein Fall, „Blueprint“ war der – wenn auch ausgesucht einfältige – Hit, dem diverse gescheiterte nächste Versuche folgten, ohne daß die Franck ihren Titel als ewige Berliner Pop-Hoffnung verloren hätte. Schon seit zwei Jahren gibt es die Rainbirds als so zu nennende Band nicht mehr, Ulrike Haage ist jetzt ihre Partnerin. Man versuchte sich daran, Brecht/Weill zu modernisieren ohne auf Milva zu machen, und zog doch den kürzeren. Jetzt scharte man vieles um sich, was in Berlin Rang und Namen hat und produzierte mit „In A Different Light“ eine Platte, die so unglaublich durchdacht, durchschaubar und kalkuliert ist, daß man darin Trockeneis lagern könnte, ohne daß es qualmen würde. Der leider nicht allzu lebendige Beweis, daß Musik nicht immer aus Maschinen kommen muß, um maschinell zu klingen.

Am 26.7. um 20.30Uhr im Loft, Nollendorfplatz, Schöneberg

Thomas Winkler

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