Durchs Dröhnland: Die letzten Rülpser des professionellen Rebellentums
■ Die besten und schlechtesten, die wichtigsten und überflüssigsten Konzerte der Woche
Bei Desolation Row hört man überdeutlich, daß hier gute Musiker am Werke sind. Man hört auch, daß das nicht immer ein Fehler sein muß. Zumindest dann, wenn man versierten Rock spielen, seine Breaks nicht vertüdeln und das Gitarrenriff erkennen will. Den Namen hat man zwar von einem Songtitel von Bob Dylan geklaut, aber sonstige Gemeinsamkeiten treten nicht allzu deutlich zutage. Hin und wieder der Hang zum Blues, der aber nie richtig ausgelebt wird. Wenn sich das vor zwei Jahren gegründete Trio noch die manchmal gar zu langen Gitarrensoli sparen würde, hätten sie durchaus Chancen, zu so was wie den deutschen Pirates zu werden.
Völlig anders liegt der Fall bei den Square Pigs, die sich 1990 aus Hausbesetzerkreisen rekrutierten. Deren Versuch einer Art Pop-Punk-Jazzcore scheitert zum einen an aufnahmetechnischen Problemen des Demo-Tapes, zum anderen am relativen Fehlen der angeführten Elemente. Jazzcore bedeutet für das Trio ganz offensichtlich, hin und wieder einen Walzerrhythmus in einen öden Viervierteltakt einzubauen. Als Vorbilder geben sie die Minutemen und die Descendents an, große Namen, aber im Moment sind die Square Pigs zwar ausbaufähig, aber noch ein gutes Stück von den eigenen Vorgaben entfernt.
Am 23.10. um 21 Uhr im Wasserturm Kreuzberg, Kopischstraße 7
Auch den Bone Club ereilt in jeder Renzension das Schicksal, irgendwelchen städtischen Szenen zugerechnet zu werden. Zwar stammt man aus Minneapolis (remember Hüsker Dü, Soul Asylum etc.), genauer eigentlich aus der Zwillingsstadt St. Paul, aber da jedem, der eine Gitarre um den Hals hängen hat, im Moment der Grunge angedichtet wird, fällt immer auch der Name Seattle. Immerhin war Sänger Andrew Dacey mal eine Zeitlang dort, um für Skin Yard, die eigene Band des Seattle-Papstes und Produzenten Jack Endino, zu singen. Zurückgekehrt, wurde der Bone Club mit dem Bruder und Gleichgesinnten reformiert und eine erste LP „Bless This“ aufgenommen. Auf der fand sich nicht mehr als hochmelodischer Gitarrenrock, der bei aller Härte eine nicht für möglich gehaltene Wärme und Freundlichkeit ausstrahlte, mit der bedrohlichen Schwere des Grunge aber auch nichts zu tun hatte. Zudem gelangen ihnen mit „Apple“ und „DNA“ zwei veritable Hymnen, die seitdem auf diversen meiner Mix-Cassetten landeten. Die Nachfolge-Platte ist inzwischen fertig und heißt „Beatiflu“. Durch einen neu hinzugekommenen zweiten Gitarristen ist ihr Sound fetter geworden, hat aber von seinen wärmenden Eigenschaften nichts verloren. Immer noch kann man sich allein vom Zuhören in den Sänger verlieben, immer noch sind sie eine der harmonischsten Rockbands, die es momentan gibt. Auch wenn ich auf „Beatiflu“ bisher noch keine expliziten Hits entdecken konnte, bleiben Bone Club meine liebsten Kindergarten-Psychedeliker.
Am 23.10. um 22 Uhr auf der Insel, Alt-Treptow 6, Treptow
Geradezu unerschöpflich scheinen die baskischen Reserven zu sein, was sympathisch altmodischen Punkrock betrifft. Vor allem The Clash und ihren Polit- Punk hat man dort gefressen, und solange die Bands aus Euskadi kommen, kann davon ausgegangen werden, daß sie die politisch korrekten Inhalte vertreten. Heriotza stammen aus Irun und spielen musikalisch die etwas schnellere Variante, ohne allerdings auch nur in die Nähe von Trash- oder Speed-Metal zu kommen. Zu dominant liegt die Stimme darüber, zu wichtig die Botschaft, auch wenn sie hierzulande fast niemand versteht. Die bei Bands dieser Herkunft beliebten Reggae-Einflüsse bleiben ebenfalls außen vor, der Punk von Heriotza ist ganz pur, ganz archaisch, ohne Spielereien und mit den eingängigen, kämpferischen Refrains.
Am 23.10. um 22 Uhr im K.O.B., Potsdamer Straße 157, Schöneberg
The Angelus gründeten sich 1988, und schon ein Jahr später bezeichnete das Volksblatt ihren Auftritt im Rahmen des Senatsrockwettbewerbes als den „Knüller des Abends“ und prophezeite dem „leicht depressiv angehauchten Wechsel zwischen Trash, Speed Metal und Punk“: „Perfektion kombiniert mit Emotion ist offenbar Angelus-Devise – in derart gutes Material gebannt, daß die internationale Karriere nicht lange auf sich warten lassen dürfte.“ Die internationale Karriere wartet zwar immer noch, aber schöner hätten wir das auch nicht sagen können.
Am 24.10. um 21 Uhr im Wasserturm Kreuzberg
Geradezu berüchtigt für seinen butterweichen Gitarrensound ist der 1944 in Paris geborene Babik Reinhardt. Sein Vater war übrigens ein gewisser Django Reinhardt, von dem er die Liebe zum langsamen Tempo und zu balladesken Improvisationen geerbt hat. Zwar sind noch einige Elemente des sogenannten „Zigeuner-Jazz“ zu hören, vor allem, wenn die Violine im Vordergrund steht, aber Babik Reinhardts Gitarre tröpfelt, auch wenn das Tempo anzieht, so verträumt und romantisch, daß man meinen könnte, Pat Metheny sollte es besser als Holzfäller versuchen.
Am 25.10. um 22 Uhr im Franz, Schönhauser Allee 36-39, Prenzlauer Berg
Ugly Kid Joe sind eine der unzähligen Normalo-Rockbands, die sich rudelweise in Los Angeles rumtreiben und hoffen, die nächsten Guns'n'Roses zu werden. Man kann sich sicher stundenlang darüber streiten, was diese denn von jener Band unterscheidet, gewonnen ist damit nichts. Zu austauschbar, zu sehr dem MTV- Rockformat entsprechend ist der Großteil dieser Kapellen. Die einen haben halt einen Plattenvertrag, die anderen nicht. Alle haben sie aber die gepflegte Mähne über die Schulter hängen, ihre Gitarren satt eingestellt, die teuren Marshall-Verstärker auf der Bühne, die potentielle Hit-Ballade auf der Platte und sicher einen gewieften Manager, der alles herausholt für die inzwischen auch nicht mehr so jungen Berufsrebellen, die in ihren Bandinfos immer noch die Mär vom a priori häßlichen, nonkonformistischen, revolutionären und wilden Rock'n'Roll verbreiten. Und dabei zeigt gerade diese spezielle Szene in Los Angeles, daß es hier letztlich nur ums Bankkonto geht. Da das professionelle Rebellentum nicht erst seit gestern enttarnt ist und spätestens mit dem selbstironischen Auftritt von Sex-Pistols- Manager Malcolm McLaren in Julian Temples „The Great Rock'n'Roll Swindle“ seinen letzten Rülpser getan hat, kann man auch einfach nüchtern feststellen, daß mit Ugly Kid Joe die nächste Rockband aus L.A., die nur für Spaß, Autos und Frauen singt und lebt, auch nicht schlechter ist als die letzte oder die vorletzte. Aber so viele Fußballarenen passen gar nicht auf diesen Planeten, um alle Bands unterzubringen, die dort gerne spielen würden und vom musikalischen Potential auch nicht weniger Berechtigung hätten als die, die es dann schließlich bis ins Olympiastadion schaffen.
Am 28.10. um 20 Uhr in Huxley's Neuer Welt, Hasenheide 108-114, Kreuzberg Thomas Winkler
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