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Durchs DröhnlandHaben Linke noch die besseren Beats?

■ Die besten und schlechtesten, die wichtigsten und überflüssigsten Konzerte der kommenden Woche

Es war schon immer etwas kälter, einen guten Geschmack zu haben. Die skandinavischen Länder glänzten selten mit eigenständiger Musik, oder hat jemand schon mal was von Lappen- Groove oder Rentier-Ethno gehört? Aber immer bewiesen vor allem Schweden und Finnen, daß sie sehr versiert anglo- und vor allem amerikanische Vorbilder zu adaptieren in der Lage sind, um ihnen eine neue Dimension an Härte hinzuzufügen. Ähnliches gilt auch für The Jungle Medics, die aber erstens aus Norwegen stammen, zweitens keinen Rock spielen und drittens nicht nur härter sind, sondern vor allem alles crossovern, was ihnen unter die Griffel gerät. Die Samples auf ihrer Platte gehen von Miles Davis über Deee-Lite und Ice-T bis zu Tom Waits. Bei den Jungle Medics ist alles drin und nicht nur in den Samples. Dub-Reggae, der irgendwie nicht so klingt, Punkrock, der irgendwie nicht so klingt, oder HipHop, der irgendwie nicht so klingt. Und vieles mehr und das alles in einem Stück. Die Band für Leute, denen immer schon nach zwei Stücken langweilig ist, oder die einen Tag vor dem Radio lieber in eineinhalb Stunden in einem Konzert-Club durchziehen. Trotz ihrer Vielfältigkeit sind die Jungle Medics zwar überfrachtet, aber auch immer tanz- und gut konsumierbar. Dies hier ist nicht der kleinste gemeinsame Nenner, sondern die endgültige Versöhnung der Gegensätze auf der Basis des HipHop. Groß, wirklich groß.

Am 4.11. um 22 Uhr im K.O.B., Potsdamer Straße 157, Schöneberg

Matthias Arfmann bildete bei den Kastrierten Philosophen mit Kathrin Aichinger nicht nur die eine Hälfte des einzigen wirklichen Traumpaars des deutschen Untergrunds, sondern verstand es darüber hinaus – mit den Philosophen und anderen Projekten – ganz selbstverständlich amerikanische Musiken mit deutscher Liedguttradition von der Romantik bis Weill zu verquicken. Auf seiner ersten Solo-Platte „Inner Ear“ breitet er über deffen HipHop-Rhythmen seine Vorstellung von den 70ern, ihren Klängen, aber auch ihren Mythen aus. Und komischerweise funktioniert diese unmögliche Kombination so gut, daß man Arfmann ohne Zögern sowohl eine eigenständige deutsche Herangehensweise wie internationale Klasse bestätigen kann. Von den Kastrierten Philosophen ist nur noch die eher pathetische und romantisch-depressive Grundstimmung erhalten, die Sounds sind völlig andere. Hier treibt sich alles rum: Disco- Bläser, Lou Reed, Cocktails unter sonnigen Palmen und noch vieles mehr. Paßt trotzdem alles rein.

Am 5.12. um 22 Uhr auf der Insel, Alt-Treptow 6, Treptow

Hier kommt Geschichte. The Five Blind Boys Of Alabama gründeten sich 1937 (in Worten: Neunzehnhundertsiebenunddreißig), hatten ihren ersten Auftritt vor einem weißen Publikum 1962 und singen auch heute noch ihren völlig puristischen Gospel. Die fünf Boys sind nicht blind und auch nur zu viert, aber schon seit 45 Jahren ohne Besetzungswechsel zusammen. Gerne singen sie a cappella, aber sie lassen auch schon mal eine Kirchenorgel etwas heftiger dudeln oder legen einen sanften Funk-Groove unter.

Am 5.12. um 21 Uhr in der Wabe, Dimitroffstraße 101, Prenzlauer Berg

Musik hat bekanntermaßen nicht immer was mit Mitsummen zu tun. Jazz-Metal erst recht nicht. Während Metallica und andere Vorreiter sich längst auf seichteres Terrain begeben haben, verfeinern und zerfieseln Extreme Noise aus Saarbrücken weiter jedes Riff, das so dumm war, sich von ihnen spielen zu lassen. Jazz- Metal ist zwar schon länger ein inflationär gebrauchter Begriff, aber nirgendwo trifft er so zu wie bei Extreme Noise. Strukturell spielen sie eindeutig Jazz, aber dazu benutzen sie die Sounds des Heavy Metal, ein Schlagzeug, eine Gitarre, einen Bass. Die meisten ihrer Stücke sind Instrumentals, und wenn Stimme auftaucht, dann wird sie wie ein Instrument verwendet, nämlich als eine Phrase, die beständig wiederholt wird und in die Improvisation eingebaut ist wie ein Gitarrenlick. Text kann man das dann auch nicht nennen, wenn als einzige Zeile ein dutzendmal im gleichnamigen Song „Livin' In A Nightmare“ wiederholt wird. Damit umgehen sie übrigens auch das Problem, sich die englische Sprache anneignen zu müssen und dabei peinlich auszusehen.

Am 6.12. um 22 Uhr im Tacheles, Oranienburger Straße 53-56, Mitte

Ein rühmliche Ausnahme in der deutschen HipHop-Landschaft bilden N-Factor. Hier sind keine „Krauts with Attitude“ am Werke, die aufgrund des fehlenden Backgrounds immer unehrlich wirken müssen, sondern ein schwarzes Gebrüderpaar, aufgewachsen in Deutschland mit Eltern aus Lagos. Dann zurück in die „Heimat“, um dort dieselben Probleme zu haben wie hier: nicht reinzupassen. Davon handelt die letzte Platte, für die sogar Bill Laswell als Mixer gewonnen werden konnte. Herausgekommen ist die vielleicht beste „deutsche“ HipHop-Platte, aber natürlich sind N-Factor mehr als nur zwei rappende schwarze Brüder mit drei weißen Musikanten im Hintergrund und einem Hang zum Off- Beat und Reggae-Toasting. Allein die Existenz von N-Factor ist ein multikulturelles Statement.

Am 6.12. um 22.30 Uhr im Knaack, Greifswalder Straße 224, Prenzlauer Berg

Jahrelang schien es so, als ginge Musik- und Politikmachen nicht richtig zusammen. Einer der beiden Pole schien zwangsläufig unter der Kombination zu leiden. Zwar benutzen auch die Rechtsradikalen in den letzten Jahren vermehrt diese Form der Meinungsäußerung und -mache, aber die Linken (in all ihrer Differenz, die der schwammige Begriff impliziert) haben immer noch die besseren Beats. Daß der Faschismus trotzdem zum Teil schon die Tanzböden erobert hat, legen Consolidated mit dem ersten „Stück“ ihrer neuen Platte dar. „Industrial Music Is Fascism“ ist ein live aufgenommener Appell mit Publikumsbeteiligung und illustriert besser als ein normaler Song die Wirkungsweise eines Consolidated-Konzertes. Denn die drei weißen Amerikaner sind weniger HipHop-Musiker als HipHop-Politiker, über deren Inhalte man weit mehr und dazu noch wesentlich exakter auf den Konzerten erfährt, als ich hier beschreiben könnte. Deshalb hingehen, um Consolidated bei ihrem Konzert, beim Multimedia-Spektakel, bei politischer Bildung, bei Aufklärung mit Musik, Videos und Diskussionen zu erleben. Wo andere linke Bands darum bemüht sind, die linke Idee als solche in Erinnerung zu rufen, wo Konzerte dazu dienen, die Gemeinde zu versammeln und moralisch aufzurichten, setzen Consolidated eine Auseinandersetzung auch mit linken Inhalten entgegen. So arten ihre Gigs oft sehr bewußt in ein offenes Gespräch mit dem Publikum aus, bei dem jeder teilhaben soll und kann.

Am 6.12. um 20.30 Uhr im Loft, Nollendorfplatz, Schöneberg

Das eigentliche Ereignis beim Konzert der hypermelancholischen Elektronik-Bastler Deine Lakaien findet im Vorprogramm statt, auch wenn das Duo seine depressive Weltsicht diesmal bei Klavierbegleitung heraushaucht. Denn vorher spielen Blaine L. Reininger und Steven Brown, früher einmal als Tuxedomoon des Studenten liebste Avantgarde- Kapelle. Nach der Auflösung hat man sich vor kurzem wieder zusammengefunden, die Synthies in die Rumpelkammer gestellt und tritt nun in Berlin wie die Lakaien nur akustisch mit Geige und Piano auf.

Am 10.12. um 19.30 Uhr in der Volksbühne, Rosa-Luxemburg- Platz, Mitte Thomas Winkler

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