Durchs Dröhnland: Der Rockmusik ist elend zumut
■ Die besten und schlechtesten, die wichtigsten und überflüssigsten Konzerte der kommenden Woche
Wir hatten in letzter Zeit vielleicht zu lange unerwähnt gelassen, daß der Rockmusik recht elend zumute ist. Statt dessen wurde an dieser Stelle stillschweigend vorausgesetzt, daß sich auf den ausgebleichten Gebeinen ganz besonders klasse tanzen läßt. Bei Calvin Russell ist nur mehr Knochenmehl übriggeblieben. Der Mann aus Austin, Texas, sieht noch einige Jahrzehnte älter aus, als er sowieso schon ist. Genauso abgehangen und auf souveräne Art blutleer klingt seine Musik.
Aus jedem Ton springt einen die jahrtausendealte Erfahrung von Russell und seiner Band (mit dabei u. a. Luther und Jim Dickinson) an. Russell verschwendet für seinen Country-Rock keine Note zuviel, und auch wenn im Hintergrund so was wie eine Metal-Gitarre schrummt, ist zuvorderst Melancholie das Gefühl, das dem alten Mann am besten zu Gesicht steht. Blues ist hier ganz und gar nicht die sklavische Anwendung des Zwölftaktschemas, wie es vor allem junge weiße Musikanten immer glauben, sondern vor allem der Ausdruck.
Am 30.4. um 22 Uhr im Knaack, Greifswalder Straße 224, Prenzlauer Berg
Auch schon ein wenig am Japsen war Hardcore – nicht zuletzt durch den Mainstream-Erfolg einiger Kapellen. Nichtsdestotrotz tauchen zur freudigen Erregung der Freunde satter Gitarrenarbeit vor allem aus den weitläufigen Reservoiren der USA immer wieder Bands auf, die ohne Umschweife in die erste Liga aufsteigen. So auch Balance, stammend aus Tampa, Florida, hervorgegangen aus den immer noch bestehenden Slap of Reality, spielten bereits auf ihrem allerersten Demo-Tape einen entzückend harmonischen Core.
Die Melodien fließen so selbstverständlich wie vielleicht nur bei den Doughboys, auch wenn der Gesamteindruck meist entschieden härter ausfällt. Von denen haben ihnen zumindest die mehrstimmigen Jungs-Chöre gefallen, die einen so wunderhübschen Kontrast zum Sägen der Gitarren abgeben. Das ist der Stoff, von dem die harten Jungs in schwachen Stunden träumen.
Mit Jonas Jinx am 30.4. um 22 Uhr auf der Insel, Alt-Treptow 6, Treptow
Jenseits des kleinen deutschsprachigen Hamburger Popwunders blühen in der Hauptstadt weiter die dunkelsten Blüten. Und auch wenn Mutter bei der gleichen Firma erscheinen wie die Hamburger Perlen, finden sich bis auf die gemeinsame Sprache keine Parallelen. Es dümpelt schwer, wenn die vier Berliner die Instrumente rühren, es ist ein Arbeiten, kein Spaßhaben. Ein Abtragen, Abschleifen herkömmlicher Songstrukturen, die in mühevoller Steinbrucharbeit zermalmt werden.
Ebenso verweigern sich die Worte althergebrachten Arten, einen Text zu schrieben. Wir sind hier nicht im Reimland, so viel ist klar. Aber die Sätze, die Max Müller singt, wollen – genausowenig wie die Musik – dem Hörer sich nicht allzuschnell öffnen. Es ist ein Sprechen mit sich, über sich, mal mit anderen, mal in anderen Rollen: „Mir ist es völlig egal/ wer du bist was du bist/ wo du bist was du sagst/ was du fragst wer dich/ zu dem gemacht hat was/ du heute bist.“ Um diese meist hingeworfenen, oft geschrieenen Worte ranken sich die Töne so widerspenstig, daß man sich kaum entscheiden mag, was das hörende Hirn zuerst bewältigen sollte.
Am 11.5. um 22 Uhr im Knaack
Schlauerweise fast vollständig der Heimat den Rücken gekehrt haben inzwischen die ehemals bundesdeutschen Sovetskoe Foto. Ihre letzten drei Platten wurden in New York augenommen mit tätiger Mithilfe dort residierender Größen: John Zorn, Arto Lindsay, Fred Frith u.a. Jeweils produziert von Martin Bisi, der dortselbst alles mischt, was Lärm zu machen versteht: Bill Laswell, Golden Palominos, Blind Idiot God und natürlich Sonic Youth. Mit diesem Namedropping ist auch schon die Bandbreite von Sovetskoe Foto abgesteckt. Vom schlichten Rock 'n' Roll mit durchgehend verstimmter Gitarre über Jazz-Gefuchtel bis hin zu gewollt avantgardistischer Atonalität. Darüber die Stimme von Barbara Melin, die das neue Frollein- Wunder nun endlich auch hier ankommen läßt. Wenn es die Exilanten noch schaffen, gewisse Längen zu eliminieren, brauchen sie bald die Gastmusikanten nicht mehr.
Am 4.5. um 21 Uhr im Huxley's Junior, Hasenheide 108-114, Kreuzberg
Chris Cacavas wird wohl auf ewig der „ehemalige Keyboarder von Green On Red“ bleiben. Dabei faßt er seine Orgel, die noch jedem die Assoziation „Doors“ entlockte, nur mehr zu den seltenen Aufnahmen seiner Solo-Platten an. Zwei Werke in drei Jahren hat der umgeschulte Gitarrist und Sänger Cacavas inzwischen verherzschmerzt und ist der einzige der Neo-Hippie-Szene der US- Westküste, der bei seinen Leisten geblieben ist. Cacavas war zwar damals in den Achtzigern keine treibende Kraft dieser Musik, aber er ist zu ihrem Testamentsverwalter aufgestiegen. Seinen neuen Job macht er gut, wenn auch manchmal hart an der Grenze zum Kitsch. Am besten ist Cacavas, wenn er so langatmig wird wie die alten Kumpels von Rain Parade, wenn er es einfach nur klingen läßt. Große Weite dann.
Am 4.5. um 20.30 Uhr im Loft, Nollendorfplatz, Schöneberg
Manchmal schreibt man traurige Lieder, auch wenn man es gar nicht so meint. Ken Chambers passiert das nicht nur manchmal, ihm passiert das immer. Mehr als zehn Jahre gibt es seine Band, die Moving Targets, jetzt schon, und all die Jahre standen sie im Schatten anderer Postpunk-Heroen aus der Heimatstadt Boston: Lemonheads, Gang Green, Bullett Lavolta oder Buffalo Tom. Irgendwann war das auch Chambers leid und tauschte die Band gegen einen Gitarrenplatz bei Bullett Lavolta.
Nach gut drei Jahren stellte er fest, daß er es brauchte, selbst im Rampenlicht zu stehen. Also wieder Targets, wieder diese schwer rollenden, die Geschwindigkeit steigernden und sich doch nie überschlagende Hippie-Punk- Stücke. Keine Songs wohlgemerkt, sondern eben gar nicht kleine musikalische Epen, die allein auf den eigentümlich treibenden Gitarrenstil von Chambers zugeschnitten waren. Die Gitarre umspielt den Gesang, nimmt ihn voraus, nimmt ihm den Raum, gibt ihn zurück. Auch wenn Chambers vielleicht die Rolle des Singer/Songwriter auf Punkstandard erhebt, kamen die Targets bisher nicht aus der heimatlichen Nebenrolle heraus. Chambers Solo-LP von 1991 wurde gar in Berlin eingespielt und nur in Europa veröffentlicht.
Am 5.5., 21 Uhr im Huxley's Jr.
Zum Abschluß doch noch etwas Feuchtfröhlichkeit. Die Pressgang hat sich der Fortführung des ehrlichen britischen Folkrocks verschrieben. Bitter nötig, wo dieser doch arge Schwierigkeiten hat und immer weniger tiefschwarzes Bier durch die Kehlen fließt. Die Band aus London garantiert Fiedeln, Akkordeon und all das, was Irish Pubs so beliebt macht. Für den Kater muß allerdings jeder selbst sorgen.
Am 5.5. unplugged im Café Schlot, Kastanienallee, Prenzlauer Berg, am 6.5. elektrisch im Knaack
Thomas Winkler
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