Durchs Dröhnland: Den Überblick verloren
■ Die besten und schlechtesten, die wichtigsten und überflüssigsten Konzerte der kommenden Woche
Zu behaupten, den Überblick über die Konzerte zu haben, die im Rahmen der Berlin Independence Days, kurz BID gerufen, stattfinden, wäre glatt gelogen. Deshalb erst gar kein Versuch, sondern nur ein paar Anmerkungen zu einer persönlichen Auswahl an Konzerten. Wohlan:
Kim Salmon ist Legende, auch wenn er von seiner Musik allein höchstwahrscheinlich nie leben konnte und nie wird leben können. Als Punk noch neu und aufregend war, trieb sich der junge Kim in Perth rum, ein gottverlassenes Fleckchen auf einem gottverlassenen Kontinent. Vielleicht gerade deswegen entwickelten sich gleich reihenweise Punks aus Perth zum Rückgrat des australischen Undergrounds. Salmon war, solange es sie gab, Mitglied der Scientists, die zusammen mit Radio Birdman den Nukleus bildeten, aus dem schätzungsweise 80 Prozent aller Kapellen hervorgingen, die auf dem fünften Kontinent je eine Gitarre anfaßten. Schon bevor sich die Scientists 1986 endgültig auflösten, wüteten die Mitglieder mit Solo-Versuchen und in Side-Projekten. So spielte Salmon bei den Beasts of Bourbon die Gitarre und war damit hauptverantwortlich, daß deren Blues so grandios krank klang. Als Kim Salmon & The Surrealists hat er nun bereits seine vierte LP draußen und bearbeitet weiterhin sehr eigen die Geschichte des Hardrock. Und vor allem, was gut war an den Siebzigern.
Am 12.11. um 0.15 Uhr im Huxley's Junior, Hasenheide 108–114, Kreuzberg
Jahrelang glänzte Bremen nur mit dem infantilen Punkrock der Mimmis. Dann kamen die Spermbirds und mit ihnen Besserung. So kommen zum Beispiel Party Diktator auf dem Label des Ex-Spermbirds-Sängers heraus. Vorher erspielten sie sich drei Jahre lang in der Hansestadt Kultstatus, nach der ersten LP wurden sie teilweise schon als beste Band der Welt gehandelt. Immerhin waren sie einige der wenigen deutschen Combos und ganz sicher die unbekannteste, die zur Ehre kam, eine Peel-Session mit dem Meister himself aufnehmen zu dürfen. Und verdient haben sie's auch, denn selten riß eine Band offensiver die eingefahrenen Gleise des Hardcore auf. Es gibt Momente, die erinnern in ihrem wohlgefälligen Chaos fast an Free Jazz, vor allem weil Schlagzeug und Baß den Rhythmus als Squashball benutzen. Da ist alles möglich und findet meist auch zeitgleich statt. Die Gitarre ergießt sich in Rückkopplungen, die aber nicht aufs Zahnfleisch gehen, sondern im Dienste des Songs stehen, ebenso wie hysterische Deklamationen und Gekreische des Sängers. Oberflächlich gehört, spielen Party Diktator den hektischsten Hardcore, der möglich scheint. Tatsächlich liegt in ihrer Musik eine unglaubliche durchdachte Ruhe und Relaxtheit.
Am 13.11. um 22 Uhr im Knaack, Greifswalder Straße 224, Prenzlauer Berg
No Use For A Name stammen aus Sunnyvale. Und hübscherweise hört sich ihr Hardcore auch so sonnig wie die Heimatadresse an. Von der Sorte gibt's sicherlich Tausende, aber nur wenige dürften die melodische Souveränität der Kalifornier besitzen, ohne dabei an Härte und Kompromißlosigkeit zu verlieren (22 Uhr). Anschließend dann mit Sid Griffin so was wie die graue Eminenz des amerikanischen Country-beeinflußten Gitarren-Rock. Er war Mitglied der Long Ryders, spielte mit Michael Stipe von R.E.M., den 10.000 Maniacs oder auch Dream Syndicate. Und als wenn das noch nichts wäre, schrieb er auch noch eine Biographie über Gram Parsons (23 Uhr). Zum Abschluß Blood On The Saddle, die zu Unrecht zwar als Erfinder des Cow Punk gepriesen werden, aber zumindest die höllische Geschwindigkeit ins kurzlebige Genre eingeführt haben. Früher einmal die beste Eintagsfliege der Welt, nun wieder da (0.15 Uhr).
Am 14.11. im Huxley's Junior
Erlangen ist eine Studentenstadt mit allen Nachteilen und hat eine Fußgängerzone so groß wie die Hölle. Nicht weit entfernt liegt das E-Werk, so der Name des örtlichen Kommunikationszentrums. In der dortigen Kellerbühne versuchen sich meist namenlose BWL-Studenten an etwas, das sie Free Jazz nennen. Unglaublich, daß Fiddler's Green aus diesem Abort Frankens kommen. Das Sextett ist meines Wissens die erste Band, die es wagte, ein irisches Traditional mit einem Off-Beat zu versehen. Der Respekt fehlt auch sonst: krachende Gitarren, nölende Geigen, wahnwitzige Geschwindigkeiten. Man selbst bezeichnet es als „Irish Independent Speedfolk“ und liegt richtig damit. Schärfster Partytip der gesamten BID. Und mit den Pogues hat das nichts zu tun. Viel, viel besser.
Am 14.11. um 0.30 Uhr im K.O.B., Potsdamer Straße 157, Schöneberg
Gogh van Go aus Montreal haben zwar einen blöden Namen, aber machen einen Pop, der schon fast zu perfekt ist. Überaus souverän, wie dieses Duo alle Klippen aus Kitsch, Kunst und übergroßer Eingängigkeit immer nur ankratzt. So intelligent kann keine einzelne Band sein, das endet demnächst in den vorderen Rängen der Charts. Schon allein wegen dieser unverschämt glockenhellen Frauenstimme.
Am 14.11. um 21.30 Uhr im Trash, Oranienstraße 40/41, Kreuzberg
Noch mal Kanada, diesmal Edmonton, diesmal eher traditionell. Allerdings wollen auch Jr. Gone Wild zumindest den Rock 'n' Roll neu definieren. Ein Unterfangen, das so neu nicht ist, und entsprechend oft schon scheiterte. Fast auf rührende Art altmodisch zu klingen, aber dabei krampfhaft versuchen, nicht eine Band unter vielen zu sein. Und dann muß ausgerechnet der mit Abstand Jüngste in der Band die Pedal Steel Guitar bedienen. Immerhin darf man Sänger Mike McDonald zugute halten, daß seine Songs zwischen den Klassikern des Country-Rock nicht auffallen würden. So ist es, wenn Tradition neu erfunden wird.
Am 14.11. um 0 Uhr im Hard Rock Café, Meinekestraße 21, Wilmersdorf
Ach, da wäre noch soviel zu erwähnen: die Hamburger Nacht mit der All-Star-Band Motion (am 12.11. im U-Club), daß Legenden-Produzent und Gnadenlos-Schrammler Kramer auch dabei ist (am 14.11. im Knaack), daß die wundervollen Dead Moon immer noch ihren Mono- Rock machen (am 13.11. im Huxley's) oder daß ich mannigfaltige HipHop- und sonstige Danceveranstaltungen einfach weggelassen habe. Und jenseits der BID gibt es ja auch noch was, z.B.:
Es gab mal Zeiten, da empfand man den Sound von Orchestral Manoeuvres in the Dark so schwer und depressiv, bewunderte die Vielfalt an elektronisch erzeugten Klängen und starrte mit dem Walkman am besten aus fahrenden Zügen auf vorbeifliegende Landschaft. Heute sagt jeder nur noch abgekürzt O.M.D., und auch sonst haben sich die Zeiten geändert. Andrew McCluskey hat die alleinige Regentschaft bei O.M.D. übernommen und ist voll und ganz auf Pop umgeschwenkt. Von den düsteren Versprechungen ihrer frühen Wave-Platten ist nichts mehr geblieben – statt dessen gnadenlos lustig, fröhlich, positiv. Früher war nicht alles besser, O.M.D. aber bestimmt.
Am 12.11. um 20 Uhr in Huxley's Neuer Welt
Das Interessanteste an Lucilectric ist die Tatsache, daß Annette Humpe (diesmal als Produzentin) einen neuen Versuch startet, mit der dummen Seite der Neuen Deutschen Welle doch noch ein paar Mark zu verdienen. Das Duo trötet, beatboxt und singt genauso platt wie Hubert Kah. Aber damals war das wenigstens noch lustig. Also echt, Annette, das mußte doch nicht sein.
Am 14.11. um 20.30 Uhr im Loft, Nollendorfplatz, Schöneberg Thomas Winkler
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