Durchs Dröhnland: Beste Band seit Erfindung der Psychoanalyse
■ Die besten und schlechtesten, die wichtigsten und überflüssigsten Konzerte der kommenden Woche
Eine der absurdesten Launen der Musikrevolution war ohne Zweifel der Grindcore. Einigen Bands waren Ende der 80er die Extremitäten des Death-Metal noch zu luschig und der amerikanische Hardcore nicht zackig genug. Also extrahierten sie aus beiden Genres die Essenz und übersteigerten sie zu kurzen, verzweifelten Eruptionen, deren Texte sich lasen wie ein Auszug aus dem „Pschyrembel“. Da wimmelte es von ekligen Geschwüren und ähnlich appetitlichen Themen medizinischer Fachliteratur. In letzter Konsequenz kamen dann manchmal nur mehr wenige Sekunden dauernde Rülpser heraus. Es soll gar Grind-Platten geben, die fünfzig oder sechzig Stücke auf Single- Länge versammeln.
Absurderweise waren der Großteil der Grindcore-Musikanten radikal-anarchische Vegetarier, die für ihre Abscheu einige Monate lang diese extreme Ausdrucksform fanden. Mittlerweile hat sich der Großteil der Grind- Kapellen wieder dem Death-Metal angenähert, so auch Carcass. Die waren sowas wie die Paten des Ganzen, und taten sich vor allem durch blutige Cover hervor, die meist zensiert wurden. Auf der Hülle ihrer aktuellen CD „Heartwork“ findet sich nun aber eine Abbildung einer Giger- Skulptur, und auch musikalisch sind die Liverpooler wieder zur Klassik des Genres zurückgekehrt. Man kann sogar deutlich Songstrukturen erkennen, es gibt sowas wie Melodien und sogar Gitarrensoli. Vielleicht liegt's ja auch nur daran, daß sie endlich spielen gelernt haben, aber so richtig, richtig böse sind sie immer noch. Sänger Jeff gehört nach wie vor zur absoluten Grunzer-Elite.
Morgen, mit Treponem Pal, ab 20 Uhr in Huxley's Neuer Welt, Hasenheide 108-114, Kreuzberg.
Skin ist eine junge, sehr junge Berliner Band mit einem amerikanischen Sänger, der für eine knirschend-kitschige Ballade knödeln kann, wie es in der ersten Ami-Liga so üblich ist. Meist muß er sich aber zurückhalten, weil Skin einer eher antiquierten Variante des Funk-Metal frönen. Bei einem Durchschnittsalter von unter 20 kann man aber noch hoffen, daß die Geschmacksunsicherheiten, die sie manchmal arg in die Nähe von Earth, Wind and Fire rücken, noch ausgeräumt werden. Da helfen dann leider auch die HipHop-Versuche wenig, auch wenn das Rapping okay ist, weil den Beats jede tanzfördernde Eleganz abgeht. Und dann wird auch noch getoastet...
Man wird den Eindruck nicht los, daß da eine Schülerband versucht, auch noch jede Lieblingsmusik eines jeden Bandmitglieds unbedingt selber nachspielen zu müssen.
Morgen, mit 36 Degree, 22 Uhr, K.O.B., Potsdamer Str.157, Schöneberg.
Manchmal sind diese lauschigen Nächte in jugendzentrumsähnlichen Einrichtungen, wo einheimische Bands vor fast ausschließlich persönlichen Bekannten spielen, richtig nett. Jedenfalls im Sommer, wenn man auch mal vor die Tür gehen kann. Im Statthaus Böcklerpark gehören die sogenannten „Rocknächte“ zu diesen Auch-in-Berlin-gibt-es-Dörfer-Angelegenheiten. Diesmal dabei sind Hysenkeit mit hysterischem Jazz-Rock-Schrammel, Six of a Perfect Pair mit irgendwie auch sowas und dann die doch schon recht bekannten Tausend Tonnen Obst. Die sind schon fast Ostberliner Punkklassiker und haben als eine der wenigen Bands bereits zum zweiten Mal den „Metrobeat“-Wettbewerb gewonnen.
Morgen, 21 Uhr, Statthaus Böcklerpark, Prinzenstr. 1, Kreuzberg.
Wenn das keine Ehre ist für die Toten Hosen. Zwar gehören die U.K. Subs nicht zu den erklärten Lieblingsbands von Campino, aber Charlie Harper befand der Hosen „Alex“ für des Coverns würdig. „Here Comes Alex“ beweist auch programmatisch die Rückkehr der Subs zu ihren Punkwurzeln, die der verfettete Harper zugunsten obskurer und völlig mißglückter Experimente mit HipHop und Dark-Rock zwischenzeitlich aufgegeben hatte. Die neuesten Ergüsse versprühen dafür wieder einen altertümlichen Charme, der sogar die oft demonstrierte Arschlochhaftigkeit des wieder leicht abgemagerten Harper manchmal vergessen läßt. Bierbauch rules o.k. in seiner letztgültigen Ausformung.
Am 22.2., 21 Uhr, Huxley's.
Es ist leise geworden in letzter Zeit um Sonic Youth und den restlichen New Yorker Noise. Dafür gibt es jetzt Barkmarket, die das Pferdchen Paranoia allerdings weniger vom Rock her aufzäumen. Die zugrundeliegende Struktur des Trios aus Brooklyn ist manchmal so relaxed wie ein FIREHOSE-Rhythmus, arbeitet sich im nächsten Moment an den 70ern ab oder löst sich in einem leidgeprüften Blues auf. Songs im herkömmlichen Sinne schreibt Dave Sardy sowieso nicht, vielmehr kleine Miniaturen ohne Refrains, mit vielen Rhythmus- und Harmoniewechseln. Textlich entblößt Sardy die tiefsten Abgründe seiner Seele, preßt seine Geschichten von der Verzweiflung unter Qualen heraus, ohne jede aufgesetzte Grunzerei. Statt dessen strahlt er bei allem Geschrei die selbstzufriedene Ruhe des überzeugt Verrückten aus. Barkmarket gelingt der fast unmögliche Spagat zwischen Noise-Zerrissenheit und souverän swingender Melodik, ohne je auch nur ansatzweise lieblich zu klingen. Sollte es trotzdem, oder wahrscheinlich eher deswegen, mit der Weltkarriere von Barkmarket nichts werden, kann Sardy immer noch als Produzent seine Brötchen verdienen: Die Red Hot Chili Peppers, Slayer oder Ice-T wollten ihn verpflichten, aber bisher mixt er aus Prinzip nur seine eigene Band.
Dabei stand ihm mit Rick Rubin zuletzt auch kein Unbekannter zur Seite. Und der hat ja schon immer ein geradezu unglaublich sicheres Näschen für gute bis beste Musik quer durch die Genres bewiesen. Und auch wenn sein Anteil an Barkmarket nicht so groß ist wie früher bei Danzig, den Beastie Boys, den Chili Peppers oder Slayer, paßt auch dieses Mal wieder das Gütesiegel Rubin. Beste Band seit Erfindung der Psychoanalyse.
Am 23.3., 21 Uhr, Huxley's. Thomas Winkler
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