piwik no script img

Durchs DröhnlandPersönliche Befindlichkeit goes Sozialkritik

■ Die besten und schlechtesten, die wichtigsten und überflüssigsten Konzerte der kommenden Woche

Was soll man von einer Band halten, die die eigene Plattenfirma als „bekloppte Finnen“ bezeichnet? Wenn man auch sonst nicht viel auf Einschätzungen in Info-Blättern geben darf, hier liegt man mal richtig. Dabei ist an dieser Stelle schon viel gesagt worden über unsere vier nordischen Freunde, denn kurzfristige Recherchen haben ergeben, daß Waltari die bisher am meisten erwähnte Band in dieser Rubrik sind, was schlicht daran liegt, daß sie alle naselang hier auftreten. Doch diesmal gibt es Neues zu vermelden: Ihr hysterischer Hardcore, der immer gerne an den Laufstil von Marlies Göhr gemahnte, hat langsam, aber sicher endgültig die Mutation in einen freundlichen, gemütlichen, allumfassenden Crossover abgeschlossen.

Da gibt es die alten Waltari gleichberechtigt neben schlaffem Hängerrock, bösartig klingelnden Metalversuchen oder aus den Sequenzern flatterndem AOR. Jedes der Stücke auf ihrem dritten Studiowerk „So Fine!“ wäre auch auf Platten diverser anderer Bands denkbar, das nächste allerdings schon wieder nur wo ganz anders, und manchmal sind auch nur einzelne Songteile kompatibel, vertragen sich aber dafür dann nicht mit den vorhergehenden Tönen. Wenn es je postmoderne Musik gab, gibt oder geben wird, dann haben sie diese Finnen gemacht. Und einen debilen Heidenspaß dabei gehabt.

Am 2.4. um 21 Uhr mit Gravity's Pull im Huxley's Junior, Hasenheide 108-114, Neukölln

Wohl selten zuvor ging der Underground so schnell und offensiv in der Hochkultur auf. Als wäre es das Natürlichste der Welt, rauschen jetzt eingefleischte Drogenköpfe in eine Ausstellung, wo man ganz hochoffiziell den aktuellen Stand des „progressiven Party-Environment“ als museale Kunst aus dem Computer bestaunen kann. Ganz abgesehen davon, daß William Gibson das sicher nicht so gemeint hat, soll man sich dann aber abends bei den Live- DJ-Einlagen und Videoshows auch schlicht amüsieren und dabei Techno und House als Underground-Disco stilvoll zu Grabe tanzen.

Ausstellung „Chromapark“ noch bis zum 10.4. täglich 12-20 Uhr, DJ Cle & DJ Woody am 2.4., Westbam am 3.4. jeweils ab 23 Uhr im E-Werk, Wilhelmstraße 43, Mitte

Youth Brigade gehörten zur allerersten Generation der L.A.- Punkbands, als sie sich 1980 gründeten. Zeitgleich versuchten die drei Gebrüder Stern, die den Nukleus der Jugendbrigade bilden, mit Hilfe der Better Youth Organization (BYO) eine Art Netzwerk in Südkalifornien aus Label, Tourveranstalter etc. aufzubauen – vergleichbar den Bemühungen von Fugazi im Bereich Washington D.C. Aber in Los Angeles verliefen derlei Versuche bekanntermaßen meist im feinkörnigen Sand der sonnigen Strände. Immerhin Youth Brigade haben sich nach sieben Jahren Pause wieder zurückgemeldet. Immer noch spielen sie einen sehr melodiösen, oft ins Gitarrenrockende lappenden Punk, von dem natürlich niemand erwartet hat, daß er den zuletzt galoppierenden Entwicklungen im Hardcore Rechnung tragen würde. Aber obwohl die Youth Brigade ganz eindeutig Frühachtziger (inklusive persönliche Befindlichkeit goes Sozialkritik) spielen, klingen sie kein bißchen hausbacken – was zuletzt ja den meisten reformierten und übriggebliebenen Punkbands der ersten Stunden widerfuhr. Vor den alten Herren tummelt sich im Vorprogramm die jüngste Garde vom Prenzlauer Berg. Slick sind rüde und ungehobelt und erinnern in ihren besten Momenten an The Fall oder ähnlichen britischen Verquerpunk.

Am 3.4. um 22 Uhr im K.O.B., Potsdamer Straße 157, Schöneberg, Youth Brigade auch am 4.4. im Huxley's

Doch die volle Dröhnung erst am Tag darauf. Fünf mal Punkrock, als Headliner schon wieder Youth Brigade (s.o.). Anschließend dann renommierter deutscher Punk-Adel mit Stromsperre, Beton Combo und Terrorgruppe. Und Ackerbau und Viehzucht, die seit 1981 schon fast rührend ihre straigthen politischen Texte schreiben. Nur die musikalische Untermalung hat sich in der Zeit leicht modernisiert. Vom klassischen Uffta-Punkrock hin zu mehr hardcorigen Breaks und hin und wieder sogar netten Songaufbauideen, weil man inzwischen halt auch Gitarre spielen kann. Ackerbau und Viehzucht gehören nicht nur zu einem letzten Häuflein aufrechter Politpunks, sondern sind musikalisch auch noch die Vorzeigbarsten, auch wenn die Vibrators-Coverversion nicht fehlen darf. Da verzeiht man ihnen auch so offensichtlich dummwahre Zeilen wie „Werbung frißt den Verstand“.

Am 4.4. um 21 Uhr im Huxley's Junior

An alle Mammis und Pappis: Obacht am Mittwoch, wenn eure halbwüchsigen Töchter plötzlich unruhig werden, wieder am Daumen lutschen, die Schule schwänzen und plötzlich verschwunden sind, um sich vor First-Class-Hotels in der Innenstadt rumzutreiben. Take That sind in der Stadt und werden vermutlich am Abend ihre nackten Oberkörper präsentieren, um die Dämlichkeit ihrer Balladen mit den Ergebnissen ausgedehnter Fitneßstudio- Besuche zu überdecken.

Am 6.4. um 20 Uhr in der Deutschlandhalle, Messedamm, Charlottenburg.

Für all diejenigen, die im reiferen Alter nicht mehr allzu sehr am Daumen hängen, sei darauf hingewiesen, daß die charmanteste Diseuse Berlins, Santtra, einen ihrer sehr stillen Akkordeonabende ausgerechnet im Wiener-Straße- Gangsta-Treff Madonna geben wird. Santtra, nicht mehr Oxyd, und weit weniger esoterisch, als mancher einer denkt, hat anders als solche Exoten wie der Posaunist Ralf Droge, Rubberminds Blumen-Fred oder die Techno- Männer im allgemeinen niemals die Mauerfronten von einst gewechselt, und erscheint auch heute noch freundlich, zeitlos und irgendwie deplaziert. Wo selbst Gudrun Gut mit Miasma postmodernistisch mäandert, bleibt der blassen Dame jede Inszenierung von Weiblichkeit fremd und damit alles bei Marlene, die schon immer Modell für den Entwurf der Klagesängerin stand. Zwar wird es nie wieder so schön, wie an jenem Abend im „Potsdamer Abkommen“ vor gut und gerne sieben Jahren, aber wer wird schon vergessen, hüben wie drüben.

Am 6.4. um 21 Uhr im Madonna, Wiener Straße 22, Kreuzberg. Thomas Winkler

taz lesen kann jede:r

Als Genossenschaft gehören wir unseren Leser:innen. Und unser Journalismus ist nicht nur 100 % konzernfrei, sondern auch kostenfrei zugänglich. Texte, die es nicht allen recht machen und Stimmen, die man woanders nicht hört – immer aus Überzeugung und hier auf taz.de ohne Paywall. Unsere Leser:innen müssen nichts bezahlen, wissen aber, dass guter, kritischer Journalismus nicht aus dem Nichts entsteht. Dafür sind wir sehr dankbar. Damit wir auch morgen noch unseren Journalismus machen können, brauchen wir mehr Unterstützung. Unser nächstes Ziel: 40.000 – und mit Ihrer Beteiligung können wir es schaffen. Setzen Sie ein Zeichen für die taz und für die Zukunft unseres Journalismus. Mit nur 5,- Euro sind Sie dabei! Jetzt unterstützen