Durchs Dröhnland: Gedrösel wie nach heftigem Pilzgenuß
■ Die wichtigsten und überflüssigsten Konzerte der kommenden Woche
Wieder ein Lebenszeichen aus Neuseeland: Bill Direen ist einer jener manischen Einzelgänger von dort unten. Bisher versteckte er sich gern hinter Bands, die mal Bilder oder Bilders oder Builders hießen und einen kakophonischen Folkrock spielten, der seine Wurzeln gerade noch mal so im Punk hatte, aber dafür viel von Atonalität und persönlicher Exzentrik wußte. Auf Tour kommt er nun solo, was die melancholischen, immer etwas verqueren Songs in den Vordergrund rücken dürfte.
Heute, 22 Uhr, Schoko-Laden Mitte, Ackerstraße 169/170
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Weil in den USA seit einiger Zeit und in England längst schon kein ungebrochener Zugang zum Rock 'n' Roll mehr möglich ist, muß man sich die unverdorbene Schlichtheit oft in Skandinavien holen. Wem es dort – völlig zu Recht übrigens – zu derb und dreist kopiert vorkommt, der muß den australischen Weg versuchen. Dort tut man unberührt von Ausverkauf der Independent-Szene und Selbstmorden mit Schrotflinten weiterhin so, als wäre das Leben eine einzige große, ewig dauernde adoleszente Revolte, macht immer noch matschigen Stadion-Gitarrenrock (Midnight Oil), etwas härteren Gitarrenrock (Hoodoo Gurus) oder den Dekonstruktions-Rock (sämtliche Scientists-Nachfolger). Doch immerhin Ed Kuepper hat sich der australischen Sucht nach der ewigen Jugendzeit nicht angeschlossen und tatsächlich einen Alterungsentwurf im Rock entworfen, der mit denen von Neil Young oder Van Morrison mithalten kann. Anstatt allzu graue Haare zu bekommen und sich ständig selbst zu wiederholen, legte Kuepper, nachdem er sich von den legendären Saints und den kaum weniger verehrten Laughing Clowns getrennt hatte, einen Kreativitätsanfall nach dem anderen hin. Da konnten schon mal vier LPs im Jahr anfallen – solo oder mit seinem Bandvehikel The Aints. Auf seiner letzten Solo-Platte „Character Assassination“ versammelt er souverän die Eckpunkte seines bisherigen Schaffens: großes Songwriting und seine wundervoll sanfte Stimme. Umgesetzt nicht nur mit weitschweifenden Gitarren, sondern Kuepper kann es sich leisten, Bläser und Geigen einzusetzen, ohne sich lächerlich zu machen. Quasi als Zugabe serviert er uns eine Version von „Ring of Fire“, die zwar nur eine entfernte Ähnlichkeit mit dem Original besitzt, aber dafür das Herze rührt wie keine zuvor.
Am 19.3., 21 Uhr, Knaack, Greifswalder Straße 224, Prenzlauer Berg
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Der wirklich dicke Wurf ist Big Chief, obwohl schon lange prognostiziert, noch nicht so recht gelungen. Doch immerhin haben sie es bis zum Major Deal und ausreichend satten Plattenverkäufen geschafft, ohne ihre Reputation auch nur anzukratzen. Ein Grund ist sicherlich die demonstrative Ablehnung eines auch nur irgendwie gearteten Grunge-Zusammenhangs, obwohl sie zeitweilig auf SubPop herauskamen. Statt dessen legten sie immer großen Wert auf ihre Herkunft aus Detroit und die dort vorhandenen Traditionen, die eben nicht nur Stooges und MC5 heißen, sondern auch eine Menge Funk und Soul beinhalten. So verschmelzen Big Chief weiterhin überaus versiert ihre Vorgaben als weiße Rockband, die aus einem Punkzusammenhang gewachsen ist, mit den schwarzen Musiken ihrer Umgebung. Das ergibt zum einen die inzwischen sattsam bekannten Funkrock-Crossover- Stücke, oft mit nicht zu verleugnenden Metal-Splittern, aber auch unglaublich entspannt groovendes Zeugs, das auf keinem Tanzboden unangenehm auffallen würde.
Am 19.3., 21 Uhr, Huxley's Junior, Hasenheide 108–114, Neukölln
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Unter nicht nur einer Wiege in Hannover stand wohl einmal ein Recorder, der unablässig den guten alten James Brown von sich gab. Kaum anders ist es zu erklären, daß Spice so widerborstig unverbesserlich den Schwitze-Funk spielen, als wären Jahrzehnte Disco-Entwicklung nicht passiert. Wer aber immer noch eine Schwäche für diese bauchergreifenden Basslines hat und bei Soul noch ausschließlich an schweißige Arschbacken denkt, ist mit Spice ausführlich bedient.
Am 22.3., Boogaloo, Heinrich-Heine-Straße, Mitte
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Noch mal Detroit: Mule bestehen zu zwei Dritteln aus der Rhythmusgruppe der Laughing Hyenas und gehen deren Weg unbeeindruckt weiter: spröder, sich selbst oft im Wege stehender Gitarrenrock, der lieber eine Kante zuviel als irgendwelche Gefälligkeiten macht und so alle denkbaren Rock-Klischees per Zerdehnung auseinandernimmt. Mit dem Gitarristen und Sänger PW Long wurde ein nahezu ebenbürtiger Ersatz für den Platz am Kotzbrocken-Mikrophon gefunden.
Am 22.3., 21 Uhr, Knaack
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Allerlei verlorene Traditionen blitzen jederzeit durch die Songs von Thinking Fellers Union Local 282. Die Band aus San Francisco hat nicht nur im Namen die proletarische Klasse entdeckt, sondern experimentiert mitten in ihren Folkrock hinein auch Stilmittel von Arbeiterliedern oder kämpferischen Marschgesängen. Das mit dem Folkrock stimmt aber auch nur halb, die Verbindungen zur Neo-Folk-Szene ihrer Heimatstadt sind eher locker. Da findet sich auch Gedrösel wie nach zu heftigem Pilzgenuß oder verzerrte Abgesänge auf britische Suffseligkeit mit dem bezeichnenden Titel „Guillotine“.
Am 22.3., 21 Uhr, Huxley's Junior Thomas Winkler
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