Durchs Dröhnland: Sümpfe spielen eine wesentliche Rolle
■ Die besten und schlechtesten, die wichtigsten und überflüssigsten Konzerte der kommenden Woche
Er schien in der Versenkung verschwunden: Josef Porta, der Oskar Matzerath des Folkrock, schlägt wieder hektisch seine Trommeln, singt mit dünn-verzweifeltem Stimmchen seine todsterbenstraurigen Geschichten, entblößt auf der Bühne seine schwitzende Hühnerbrust und gibt wieder den letzten aufrechten britischen Schienen-Cowboy. Trotz aller Geschwindigkeit sind Blyth Power so pathetisch und ehrlich berührend, daß man ständig heulen müßte, wenn man nicht schon so besoffen wäre.
Heute, d.h. morgen, 2 Uhr im Schoko-Laden, Ackerstraße 169, Mitte
Äh, kopfkratz, Nachwuchswettbewerbe? Kann es etwas Überflüssigeres geben als öffentliches Scouting von Plattenfirmen? Die wenigen Veranstaltungen dieser Art, die ich (meist) die Pflicht hatte, mitzuerleben, wimmelten von Kapellen, die klangen wie ... Auch beim „Big Deal“, dessen Finale in Berlin stattfindet, wird zwar gecrossovert auf Teufel komm raus, aber die Vergleichspunkte aus Grunge, HipHop und Funkrock sind immer noch recht offensichtlich.
Heute, 20 Uhr, Tränenpalast, Reichstagsufer 17, Mitte
Kürzlich war ich bei Verwandten, von denen ich erwartet hätte, daß sie das Wort Punk nicht mal buchstabieren können, da packt der Hausherr seine neulich erworbene Offspring-CD aus und sich selbst kontemplativ grinsend auf die Couch. Dieses Punkrock-Revival schlägt obskure Kapriolen, und Hybrid Children hätten das Potential, die neuen Green Day zu werden. Man hat die hübschen Melodien und die eingängigen Gitarrenriffs, bloß ihre Herkunft wird wohl die große Karriere verhindern: Hybrid Children kommen aus Finnland.
Morgen, 24 Uhr, Café Swing, Nollendorfplatz, Schöneberg
Du liebst Monotonie, du hast mal Rock 'n' Roll geliebt, in letzter Zeit trinkst du zuviel, und in deinen Alpträumen spielen Sümpfe eine nicht unwesentliche Rolle. Manchmal wachst du morgens im Müllcontainer auf, und du hast nichts gegen Massenmörder, einige zählst du sogar zu deinen besten Freunden? Dann habe ich die richtige Band für dich. Die Chrome Cranks kommen aus New York und müssen dort wie Kaspar Hauser von ihrer Geburt an in einem schlammigen Keller eingeschlossen gewesen sein. Allerdings bohrt sich irgendwo zwischen diesem Schreien, Stöhnen und Gitarrenquälen die gesamte US-Rockgeschichte durch, blitzen die Stooges, Swamp-Blues und jede Garage des Mittleren Westens wie ein kollektives schlechtes Gewissen auf. Es gibt viele, die halten die Chrome Cranks für den allergrößten Schrott seit der Erfindung der Tonaufzeichnung, aber einige wenige glauben auch, gerade die allerletzte Wahrheit des Rock 'n' Roll erleben zu dürfen.
Morgen, 21 Uhr, Huxley's Junior, Hasenheide 108, Neukölln
Hervorgegangen aus den Resten einiger einschlägiger Berliner Beatbands, spielen Love Bomb auch heute noch einen ebenso flotten wie überflüssigen Sixties- Dingeldängel-Pop. Zuletzt hat man sich einen dreiköpfigen Frauenchor namens Das singende Mädchenwunder zugelegt, der jetzt bei der Coverversion von „Video killed The Radio Star“ jubilieren darf.
Mit den Candydates, morgen, 4.11., 21 Uhr, Bierkeller, Siegmundshof 17, Tiergarten
20 Jahre später und Pere Ubu gibt es immer noch. Vier Abschiedsplatten, und die letzte wird sogar wieder mit Lobhudeleien überschüttet. Genug davon, auch wenn die Vorgruppe ein bißchen so ist, wie Pere Ubu einmal waren. Long Fin Killie verführen mit fiesem, süßlichem Pop, um einen dann angespitzt hocken zu lassen, weil sie penetrant auf eine Rhythmik verzichten, die auch für durchschnittliche Motoriker geeignet wäre, abzubrechen, was gerade Spaß macht, irgendwelche Lärmanfälle zu kriegen oder gleich prinzipiell jede Kooperationsbereitschaft vermissen zu lassen. Nichts bleibt wie zuvor bei diesen Schotten — ziemlich komisch, ziemlich grandios.
Mo., 6.11., 20.30 Uhr, Loft, Nollendorfplatz, Schöneberg
Austin, Texas, scheint nur so zu wimmeln von graumelierten Anzugjacke-über-Jeans-Männern im mittleren Alter. Die sind dann Singer/Songwriter, schlagen die akustische Gitarre an, blasen auch mal auf der Mundharmonika und singen von den Herbstblättern im Wind, vom Löwenzahn in Großmutters Garten, von mystischen Orten, die gerne Phoenix heißen, vom Tod, vom Leben, von der Liebe, kurz: von allem, was uns so angeht. Damit die Worte schwer wiegen, benutzen unsere Texaner wenig Musik, sie zu unterstützen. Das ist bei Vince Bell so und bei Eric Taylor nicht anders. Nur bei Iain Matthews ist zumindest auf Platte der musikalische Anspruch weiter gesteckt. Der hatte als Gründungsmitglied der Fairport Convention Generationen von Folkrockbands beeinflußt und zumindest einen Hit mit „Woodstock“.
Mi., 8.11., 21 Uhr, Huxley's Junior
Was weiß man schon über die Kultur Südafrikas? Seitdem die Prophets of da City im Vorprogramm von Spearhead durch Europa tourten, kann man zumindest wissen, daß es dort auch HipHop gibt, und keinen schlechten, auch wenn die Musik hier hinter der Politik eindeutig zurückstehen muß. Von den 21 Songs ihrer dritten Platte wurden in Südafrika siebzehn verboten, und was die Zensur nicht schaffte, besorgte eine monopolistisch organisierte Plattenindustrie, die nicht nur Veröffentlichung und Vertrieb kontrolliert, sondern auch gleich die Preßwerke besitzt. Erst in letzter Zeit konnten die Propheten nicht mehr ignoriert werden. Sie traten bei der Amtseinführung Nelson Mandelas auf, aber ihre Platten sind in Südafrika immer noch schwerer zu bekommen als hierzulande, wo die aktuelle und fünfte „Universal Souljaz“ erstmals regulär veröffentlich wird.
Do., 9.11., 20.30 Uhr, Loft
Einen hübschen, altmodischen Wave-Rock spielen die Sinbeats aus Frankfurt/Main. Die stoisch rockenden Gitarren, das leicht arrogante Organ und die penetranten dramatischen Steigerungen erinnern an die Sisters of Mercy in ihrer Biker-Phase. Es gibt wahrlich schlechtere Eckdaten.
Do., 9.11., 22 Uhr, Duncker, Dunckerstr. 64, Prenzlauer Berg, Eintritt frei!
Nur Techno hören und nur Metal spielen. Das Ergebnis sind Eisenvater. Die sind dem Hamburger, was uns Berlinern der Fleischmann macht. Die strenge Bruderschaft, kürzlich zum Trio geschrumpft, geht immer noch wenig spielerisch mit einer obskuren Arno-Breker-Ästhetik um, daß einem angst und bange werden könnte, wenn man nicht schlau wäre und es besser wüßte. Aber dafür sorgen ja das Geknüppel und die Bell-Laute von Markus Lipka sowieso. Beste Gänsehaut- Mugge seit der Schulzeit, wenn eine Kreide abbrach und der Lehrerfingernagel über die Tafel quietschte.
Do., 9.11., 21 Uhr, Huxley's Junior Thomas Winkler
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