Durchs Dröhnland: Kann man schmalzig sein, ohne peinlich zu werden?
■ Die besten und schlechtesten, die wichtigsten und überflüssigsten Konzerte der kommenden Woche
Mit acht Jahren trat er schon zusammen mit Symphonie-Orchestern auf, aber man kann ja nicht ewig Wunderkind bleiben. Statt dessen hat sich Alexander Balanescu, nachdem seine Eltern Ende der 60er aus Rumänien ausgewandert waren, immer mehr von den klassischen Vorgaben seines Studiums entfernt und seine Violine eingesetzt, wo sie gefragt war. Ob nun für Sam Brown, Kate Bush, Sting oder die Pet Shop Boys. Sein Balanescu Quartet spielt vor allem neue Musik, vieles von Peter Greenaways Leib-und-Magen-Komponist Michael Nyman. Auch in Balanescus Eigenkompositionen ist der Stil Nymans noch zu erkennen, diese sich unmerklich steigernden Bögen, das Gesprächsflirren im Hintergrund. Zuletzt hatte das Quartet Elektronik-Klassiker von Kraftwerk rein akustisch umgesetzt, nun werden sogar Sampler verwendet. Percussion hat sich eingeschlichen, und die manchmal arg spröden Stücke werden mit Anleihen bei rumänischer Volksmusik aufgelockert.
Morgen, 22 Uhr, Franz, Schönhauser Allee 36-39, Prenzlauer Berg
„Unsere Kundschaft sagt immer, daß wir experimentell sind“, schreiben Die Auch über sich selbst. Man kann der Kundschaft nur recht geben. Die infantilen Songtitel wie „Pipi trinken“ kontrastieren mit den wahnwitzigen Sprüngen, die ihre Musik macht. Schwer, alles aufzuzählen, was da verwurstet wird, aber unschwer zu hören, daß hier drei Köpfe am Werk sind, die ihren Bauch gerne weglassen. Die Bremer sind mal funkig swingend, mal dezent rockend, aber immer auf der Suche nach der unkonventionellen Wendung.
Morgen, 21.30 Uhr, Schokoladen, Mitte, Ackerstraße 169-70
Gary Floyd ist eine gewaltige Erscheinung, doch hinter den überflüssigen Pfunden verbirgt sich einer der gewichtigsten Protagonisten des US-Punks. Tatsächlich soll der so gemütlich aussehende Floyd sogar einmal einen Irokesenschnitt sein eigen genannt haben. Als Sänger der Dicks und später von Sister Double Happiness (die es ausdrücklich immer noch gibt) hatte er reichlich Gelegenheit, jeden noch so tiefen menschlichen Abgrund auszuloten. Weshalb Floyd nun tut, was viele im Alter gerne tun: Wurzeln suchen, Wurzeln finden, Wurzeln besingen über wurzeliger Musik. „When you leave you go alone“ ist eine dieser ebenso lakonischen wie typischen Zeilen, die erst durch Floyds schlabbrige Stimmbänder die unverzichtbare Tiefe gewinnen. Seine Soloplatten sind zwar sehr herzschmerzschmachtend, aber auch sehr entspannt zwischen Blues und Country, selbst ein Spritzer Cajun fehlt nicht.
Am 3.12., 20.30 Uhr, auf der Insel, Alt-Treptow 6, Treptow
Ob Rammstein mehr sind als nur die Berliner Ausgabe von Laibach, ob man das Spielen mit faschistischer Symbolik, ob man die mal verquasten, mal spermaklebenden Texte, ob man all das nun gut finden soll, muß jeder höchstpersönlich selbst entscheiden. Ich weiß es nicht.
Am 3.12. um 20.30 Uhr im Loft, Nollendorfplatz, Schöneberg
Edwyn Collins gehört zu der Sorte Mensch, die schon in allerfrühester Jugend den Eindruck erwecken wollten, es könne sie nichts mehr erschüttern. Mit Orange Juice machte er einen solch abgeklärten Pop, der ganz aufging in der regnerischen Tristesse seiner schottischen Heimat, daß ihm jetzt als erwachsener Solokünstler kaum noch Entwicklungsspielraum bleibt. Aber ganz im Vertrauen, ich habe ihn gar nicht erkannt mit seiner neuen Single. „A Girl Like You“ schrieb ich beim ersten Hören felsenfest überzeugt den Sisters of Mercy zu. Zugegebenermaßen steht ihm aber auch diese Art von Understatement sehr gut, denn Coolness in allen Schattierungen ist Collins Berufung.
Am 5.12., 20 Uhr, Metropol, Nollendorfplatz, Schöneberg
Kann man Country singen, ohne schmalzig dabei zu werden, wenn man nicht Johnny Cash heißt? Nein, irgendwie nicht. Kann man schmalzig sein, ohne dabei peinlich zu werden? Ja, Freakwater. Die allüberall gelobte Zusammenarbeit von Eleventh-Dream-Day-Sängerin Janet Beveridge Bean und der Malerin Catherine Irwin hat sich ausgerechnet in der Blues-Hauptstadt Chicago ergeben. Und diesen Geist atmet ihre Musik denn auch ausdrücklicher als den von Nashville. Glücklicherweise, denn nirgendwo sonst kann man heute so todsterbenstraurige Songs hören, so selbstsicher Westernhemden anziehen und dabei ungeniert ins Whiskeyglas heulen.
Am 5.12., 21 Uhr, Huxley's Jr., Hasenheide 108-114, Neukölln
Ganz üble Konkurrenz bekommen Selig jetzt von Brings, die zwar weniger psychedelisch sind, allerdings dafür sehr knorke die Rock-'n'-Roll-Ecke der mittlerweile wieder so güldenen 70er abdecken. Das bedeutet Gitarrenriffs, als gebe es kein Gestern, Songtitel wie „Scheiß drauf“, „Angst“, „Freiheit“ oder „Dreck“ und die hochmoralische Unterstützung eines Treberhilfevereins. Rührend wird es, wenn Sänger Peter Brings die Geburt seines Kindes bedichtet – da gehen Mütterherzen auf. Und die Marktforschungsabteilung der EMI freut sich, wenn der Fragebogen aus der aktuellen CD möglichst häufig zurückgeschickt wird, dann kann man die nächste Platte noch besser planen. Nennt man so was Minimierung des Geschäftsrisikos oder Authentizität?
Am 7.12., 20.30 Uhr, auf der Insel
Daß man als Kritikerliebling nicht notgedrungen glücklich wird, bewiesen Gallon Drunk. Die Londoner, die sich zeit ihres Bestehens standhaft weigerten, auch nur irgendwie britisch zu klingen, lösten sich halbwegs auf, Bandleader James Johnston spielte den Gitarrenpart von Blixa Bargeld bei Nick Cave's Bad Seeds, andere liehen ihre Fertigkeiten PJ Harvey oder den Tindersticks. Nun hat sich Johnston eine nahezu neue Besetzung zusammengesucht und ist ein wenig vom Blues abgekommen. Die letzte EP klingt zwar großstädtischer, urbaner, aber weiterhin bleiben Gallon Drunk eines der besten Seelenabführmittel seit der Erfindung von Jack Daniels.
Am 7.12., auch auf der Insel, aber im Theatersaal
Ein Westfale mit nigerianischer Abstammung, ein Berliner, der mal aus dem Iran kam, und ein Mecklenburger, der sich früher in Kirchenrockbands herumtrieb. Pax sind wahrlich Multikulti. Ihre Musik aber ist relativ straighter Rock, der viel von den Seventies gelernt hat, so zum Beispiel, wie man ein WahWah-Pedal bedient oder daß man keine Angst vor dem großen Melodiebogen haben soll. Aufs hübscheste werden darin moderne Errungenschaften wie das eine oder andere Hardcore-Break oder Rapping eingewoben. So zeitgemäß, daß es schon wieder beängstigend ist. Pax existieren gerade mal ein Jahr, aber sind auf gutem Weg, die momentan etwas lahmen Berliner Gitarren arschzutreten.
Am 7.12., 22 Uhr, mit Roughage im Duncker, Dunckerstr. 64, Prenzlauer Berg, Eintritt frei! Thomas Winkler
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