Durchs Dröhnland: Drogenumnebelte Trauerarbeiter
■ Die schlechtesten und besten, die wichtigsten und überflüssigsten Konzerte der Woche
Vor gar nicht so langer Zeit waren Peacock Palace mit ihrem mittelschweren Hit „Like A Rolling Snake“ ein Dauergast in den Berliner Radiosendern. Das war ein Song, der Sonnenschein und gute Laune verbreitete und vortrefflich zum gemeinschaftlichen Trällern einlud. Später gab es dann ein Nachfolgealbum, das mit großem Trara und fülligem Begleitmaterial von der Plattenfirma heftigst promoted wurde. Dafür durfte (mußte?) sich die Band Country-Western und R&B-Allüren zulegen, die im schroffen Gegensatz zu ihrer sehr flockigen, ziemlich kantenlosen Popmusik standen, welche schwere- und bedeutungslos ihren Platz in den Muscheln der streßgeplagten Metropolenbewohner suchte, vielleicht sogar fand. Weiter war nichts gewesen, und wie es gemeinhin heißt, „ist's in letzter Zeit ein bißchen still“ um Peacock Palace geworden, so daß heute abend bei ein, zwei Bieren die Lauscherchen möglicherweise ganz neu positioniert werden könnten.
Heute, 22 Uhr, Wild At Heart, Wiener Straße 20, Kreuzberg
Gern angekündigt sind ja Konzerte im Roten Salon der Volksbühne, der ein paar Stunden des Aufenthalts warum auch immer lohnt. Da macht es fast gar nichts, daß Australiens Once Upon A Time sich dort schon öfters die Ehre gaben, wie sie überhaupt allzuoft ihre Liebe zu dieser Stadt live dokumentieren. Doch wer diesen an Nick Cave, Crime & The City Solution und Hugo Race geschulten Berlin-Blues nicht kennt oder nicht von ihm genug bekommen mag, darf sich selbst 1995 ein wenig an eine Zeit erinnern, in der im Schatten scheinbar ewiger Mauersteine ein ruinös- geschichtsloses Lebensgefühl aus den ausgetrockneten, nachtumflorten Poren gequetscht wurde.
Heute, 23 Uhr, Roter Salon / Volksbühne, Rosa-Luxemburg- Platz, Mitte.
Zum Stadtinventar gehören diese beiden aufgrund hoher Aufenthaltsfrequenz natürlich auch: Nikki Sudden und Dave Kusworth alias The Jakobites, die seit rund einem Jahr wiedervereinigt und froh dabei sind, ihr an allen nicht eroberten und vergebens geliebten Mädchen dieser Welt erprobtes Leid in herzzerreißende Songs umzuleiten. „Don't you ever leave me“ schluchzten sie zuletzt, was eindeutig und programmatisch gemeint war. Hört man sich durch ihre Alben, scheinen die zwei Jakobites schwer aus allen Zeiten herausgefallen zu sein, klingen klapprig, aber wunderhübsch. Ihren Kosmos nennen die beiden selbst „simply Rock 'n' Roll“, und wenn sie in Form sind, kann es diese Nacht ein großer, schöner Gig werden. Wenn man Pech hat und die unzähligen Lonersongs zur Trauerarbeit nicht ausreichen, liegen beide drogenumnebelt so daneben, daß Auftritt und Haltung eher peinlich geraten und arges Mitleid erregen, allerdings anderer Art.
Morgen, 22 Uhr, Hohe Tatra, Brunnenstraße 192, Mitte.
Musik der furchtbaren Sorte machen Extreme. Vor vier Jahren schleuderten sie mit „More than a word“ die Hardrock-Ballade schlechthin unters sabbernde Volk und konnten wie erwartet auch Scorpion-mäßig normalverbrauchende r.s.-2-Hörer begeistern. Schwer, die Geister, die man rief, wieder zu vertreiben: Mit dem gerade erschienenen dritten Album allerdings wildert diese Band erstaunlicherweise in den Rockimperien Pearl Jams oder Soundgardens. Ähnlich Rockpathos-geschwängert wie erstere, manchmal schwer-dumpf wie letztere, jedenfalls nicht nur schmaddrig und teenage-bonjovi- like, müssen Balladen wie die erwähnte schon mit dem Hörgerät herausgefiltert werden, was Extreme nicht mehr ganz so unsympatisch und furchtbar macht.
Mo, 21 Uhr, Huxleys Neue Welt, Hasenheide 108-114, Neukölln.
Geschmacks- und trendsicher erobern Pet Lamb die Welt des schroff alternativen Rocks. Die Iren spielen genau den Sound, der auch jeden Therapy?-Freund aus den Ohrensesseln heben könnte, so schnurstracks und nervös werden die lauten, melodiösen Midtempinummern durchgehechelt. Da hängt manche Schippe Dreck mit dran, werden die elektrischen auf Deubel komm raus gequält, bestimmt der Baß den Song und fügt sich trotzdem alles zu einem schwerformatigen Ganzen. Nichts für die Top Of The Pops, eher ein Auftrag für die Collegeradios dieser Welt. Was fehlt sind Macken, Schlenker, Handicaps – beispielsweise ein kontrapunktisch sich in Szene setzender Sänger –, die Pet Lamb aus der Garde Tausender solcher Bands herausheben und sie über den Zeitraum einer Saison hinaus in den Hirnwindungen der Interessierten überdauern lassen könnte.
Mi, 21 Uhr, Knaack-Club, Greifswalder Straße 44, Prenzlauer Berg.
Momentan streiten ja gerade ein paar Gelehrte um die Halt- und Halbwertszeiten des Neo- Folk- und Soft-Core-Hypes. Von hier aus sei nur angemerkt: Etwas überrollt fühlen wir uns schon ob der vielen, vielen einsamen, nur mit der akustischen Gitarre agierenden Barden, die originär solo oder losgelöst von ihren Bands plötzlich ihre Geschichten erzählen wollen. Sonja Hunter aus San Francisco, nun ja, muß sich nun leider auch damit herumschlagen, wobei sie Prä-Hype eine genauso gute Musikerin und Sängerin war wie sie Post-Hype unbeirrt weitermachen wird. Zudem sind ihre Lieder frei von übermäßigen Country- und Folkanbiedereien, wollen keine allgemein individuelle Seelenpein für sich in Anspruch nehmen und lassen eher alle Takte hindurch viel Fröhlichkeit und Spaß mitschwingen.
Do, 21.45 Uhr, Huxley's jr., Hasenheide 108–114, Neukölln
„The Sound And The Fury“ hieß in den Achtzigern ein Sampler, der aus rocking Germany beste Bands aufbot, die sich vom US—Guitar-Sound à la Hü.-Dü. und Dino.jr. inspirieren ließen. Sharon Stoned knüpfen da fast nahtlos an, lassen aber genug neuzeitlichen Raum, um nicht als öde Kopisten only in die Geschichte einzugehen. Wer harmonisierte Gitarrenschwere mit haufenweise Melodiensprengseln mag, die Speedniggs aus Detmold schätzte auch einer Band namens HipYoung Things etwas abgewinnen kann, ist 1a prädestiniert, die Treptower Insel zu besuchen.
Do, 20.30 Uhr, Alt-Treptow 6. Gerrit Bartels
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