piwik no script img

Archiv-Artikel

kritik der woche Durch dick und dick

Sie wissen nicht, wie Liebe geht. Sie missbrauchen oder verleugnen, sie zerstören einander. Die Meisten kratzt das nicht, denn sie sind skrupellos. Jene, die zweifeln, kämpfen darum, bessere Menschen zu werden. Erfolglos, denn sie sind zu schwach.

Jedes Werk des amerikanischen Dramatikers Neil LaBute variiert dasselbe Thema: Eine nach außen wohlanständige, im Inneren verrohte Gesellschaft, die Gefühlskrüppel produziert. Darum geht’s auch in dem Vierpersonenstück „Fettes Schwein“, das Christina Paulhofer als deutschsprachige Erstaufführung auf die Bretter des hannoverschen Schauspielhauses gebracht hat.

Die Geschichte beginnt im unverfänglich heiteren Plauderton eines Meg-Ryan-Filmchens. Auch Alex Harbs karge Bühnenausstattung im flotten Telekom-Magenta nimmt noch nicht viel vorweg. An der Wand glimmt das bestimmende Zeichen des Abends, das geschwungene „M“ des weltgrößten Junkfood-Imperiums. Unter diesem programmatischen Fixstern entspinnt sich bei kalorienreicher Vollkost die Zufallsbekanntschaft zwischen der pfundigen Helen (Sabine Orléans) und dem smarten Tom (Oliver Masucci). Man schwatzt und scherzt, kommt sich zielstrebig näher, füttert einander gar mit Nachtisch und tauscht beim Auseinandergehen die Telefonnummern aus – da sollte doch eigentlich nichts anbrennen. Aber dann stellt LaBute dem unkonventionellen Zweipersonenidyll Toms sadistische Bürogemeinschaft gegenüber. In der straighten Welt des eiskalten Pragmatikers Carter (Wolfgang Michalek) und der sehr reizbaren, sehr ehrgeizigen Jeannie (Mavie Hörbiger) hat die dicke Helen keinen Platz. Tom verleugnet sie, wird zum Wanderer zwischen zwei Welten und muss sich schließlich für eine entscheiden.

Rührungstränchen über einen unverhofften Triumph der Liebe müssen wir nicht vergießen: LaBute bringt eine zynische Geschichte nüchtern und mit messerscharfer Konsequenz zu Ende. In nackten Worten. Wie eine sachliche Bestandsaufnahme des Scheiterns: ruhig, leidenschaftslos, ohne Illusionen. Einfach Ende. Einfach so.

Ein spielfreudiges, sehr intensives Schauspielerquartett, eine Inszenierung ohne Schnickschnack obendrein. Aber der geistige Nährwert? Der lässt sich in zwei Brechtzeilen fassen: Wir wären gut – anstatt so roh / Doch die Verhältnisse, sie sind nicht so. Daniel Behrendt

Nächste Aufführung: 13. 10., 19.30 Uhr, Schauspielhaus Hannover