piwik no script img

■ Dürfen Mediziner abgetriebene Föten für Heilversuche verwenden? Ein Neurologe der Medizinischen Hochschule Hannover meint, ja. Eine Expertin vom Genarchiv Essen befürchtet wachsenden Druck auf die Frauen.Abtreiben für den guten Zweck?

Dürfen Mediziner abgetriebene Föten für Heilversuche verwenden? Ein Neurologe der Medizinischen Hochschule Hannover meint, ja. Eine Expertin vom Genarchiv Essen befürchtet wachsenden Druck auf die Frauen.

Abtreiben für den guten Zweck?

„Man muß lernen. Wir sind jetzt vielleicht in einer Phase, wo die Gebrüder Wright ein Flugzeug konstruieren wollen, das in einer Anfangsphase vielleicht 200 Meter fliegt, aber irgendwann einmal auch über den Atlantik.“ So versuchte der Neuropathologe an der Medizinischen Hochschule Hannover (MHH), Professor Gerhard Walter, vergangenen Sonntag den Journalisten während einer Pressekonferenz seine „Gründerstimmung“ nahezubringen. Doch an diesem Wochenende ging es nicht um Flugzeugbau, sondern um ein umstrittenes Experiment: Erstmals soll in Deutschland Hirngewebe von abgetriebenen Embryonen auf Ratten und später dann auf Parkinson- PatientInnen übertragen werden. Eine Arbeitsgruppe mit Wissenschaftlern von MHH und Klinikum Großhadern in München will noch dieses Jahr mit den Gewebetransplantationen beginnen.

Bei der Schüttellähmung, wie die Parkinson-Krankheit auch genannt wird, kommt es zu Funktionsstörungen im Gehirn: Die Produktion des Botenstoffes Dopamin ist eingeschränkt. Durch die Transplantation der fremden Gewebszellen soll – das ist zumindest die Hoffnung der Ärzte – das Gehirn wieder mit Dopamin versorgt werden.

Weltweit sind bisher etwa 200 Parkinson-Patienten einer Gewebetransplantation unterzogen worden. Eine der führenden Forschergruppen sitzt im schwedischen Lund. Dort wurden bereits 1982 die ersten Patienten behandelt, damals noch mit eigenen Zellen des Nebennierenmarks. Wegen der zum Teil verheerenden Folgen wandte man sich bald von dieser Methode ab und transplantierte Hirngewebe von abgetriebenen Embryonen. Ähnliche Versuche wurden bereits unter anderem in Mexiko, Großbritannien, Spanien, den USA, China und Kuba durchgeführt. Auch an der Berliner Charité wurden zu DDR-Zeiten vier Patienten mit embryonalen Gewebszellen behandelt.

Die Nutzung abgetriebener Embryonen, sei es zur Herstellung von Arzneien oder zu Heilversuchen, ist seit Jahren umstritten. So bestand in den USA bis vor kurzem ein Verbot, entsprechende Forschungen mit öffentlichen Geldern zu fördern. Erst unter Bill Clinton änderte sich diese Situation. In den USA wird jetzt erstmals eine Vergleichsstudie von den Gesundheitsbehörden unterstützt, um die Erfolgsaussichten dieser neuen Therapiemethode zu erfassen. Mit dem Argument, man müsse jetzt wieder den Anschluß an die internationale Medizinforschung bekommen, sollen diese experimentellen Heilversuche auch in Deutschland durchgeführt werden.

Das Münchner-Hannoveraner Projekt ist eingebunden in ein „Europäisches Netzwerk für die Entwicklung neuraler Transplantationstherapie bei Morbus Parkinson“, kurz Nectar genannt. Beteiligt daran ist auch die schwedische Arbeitsgruppe in Lund. Dort hat auch der Neurochirurg Guido Nikkhah, der an der MHH die Versuche durchführen will, einige Zeit gearbeitet, um die Methode zu erlernen. Unterstützt wird Nectar unter anderem von der EU. Erst Ende letzten Jahres wurde dort der Beschluß gefaßt, erstmals Hirntransplantationen in das Forschungsförderungsprogramm aufzunehmen. Der Versuch der Grünen-Abgeordneten Hiltrud Breyer, im Europaparlament ein Verbot der Förderung von Übertragungen embryonalen Gewebes durchzusetzen, scheiterte. Angenommen wurde dort aber mit den Stimmen der Grünen und der Christdemokraten ein Antrag, daß nur solche Projekte gefördert werden dürfen, die jeden „finanziellen, psychologischen oder sonstigen Druck auf schwangere Frauen ausschließen“.

Daß ihr Vorhaben auf Widerstände stoßen würde, war den Transplanteuren in Hannover bewußt. Vorbehalte kamen schon, nachdem sie im vergangenen Sommer ihren Projektantrag bei der Ethikkommission an der MHH zur Begutachtung eingereicht hatten. Bevor die Kommission grünes Licht geben wollte, sollte ein gesellschaftlicher Konsens über derartige Experimente herbeigeführt werden. Erika Feyerabend/Wolfgang Löhr

taz lesen kann jede:r

Als Genossenschaft gehören wir unseren Leser:innen. Und unser Journalismus ist nicht nur 100 % konzernfrei, sondern auch kostenfrei zugänglich. Texte, die es nicht allen recht machen und Stimmen, die man woanders nicht hört – immer aus Überzeugung und hier auf taz.de ohne Paywall. Unsere Leser:innen müssen nichts bezahlen, wissen aber, dass guter, kritischer Journalismus nicht aus dem Nichts entsteht. Dafür sind wir sehr dankbar. Damit wir auch morgen noch unseren Journalismus machen können, brauchen wir mehr Unterstützung. Unser nächstes Ziel: 40.000 – und mit Ihrer Beteiligung können wir es schaffen. Setzen Sie ein Zeichen für die taz und für die Zukunft unseres Journalismus. Mit nur 5,- Euro sind Sie dabei! Jetzt unterstützen