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Dünkel und Abendländertum bei der FAZSetzen, Sechs, Herr Habermas!

Die "FAZ" wirft Jürgen Habermas ein Bildungsdefizit und "Lumpenjournalismus" vor. Anlass ist der 25 Jahre alte Historikerstreit.

Soziologe und Philosoph Jürgen Habermas 1981. Der Typ hat keine Ahnung, meint die FAZ. Bild: dpa

Ganz alte Lateinlehrer verbanden "Bildung" mit der Beherrschung der Consecutio Temporum, also der Zeitenfolge in komplexen Satzgefügen. Im Umkehrschluss galten jene, die diese nicht beherrschten, als ungebildet und moralisch defekt. Mit dieser Marotte wurde nach 68 aufgeräumt.

Aber ausgestorben ist solche Dünkelhaftigkeit nicht. Ein Beispiel bietet der Althistoriker Egon Flaig, der in Rostock Alte Geschichte lehrt. Die Welt hörte erstmals von ihm, als die FAZ am 15. September 2006 einen Artikel von ihm druckte, in dem er den Islam als genuin gewaltbereite Religion heruntermachte.

In der FAZ von gestern gewährten Schirrmachers Jungschützen Flaig einen Freischuss auf "die Methode Habermas". Anlass ist der Historikerstreit, den Habermas vor 25 Jahren gegen ein dürftiges Pamphlet Ernst Noltes zur Normalisierung der deutschen Vergangenheit entfesselte. Auf Einzelheiten des Streits, in dem Habermas Fehler unterliefen, die er einräumte und korrigierte, geht Flaig nicht ein.

Er steigt gleich grobianisch ein mit der Behauptung, Habermas habe keine Ahnung gehabt "von den theoretischen Voraussetzungen, mit denen etwa Nolte operierte". Habermas habe sich journalistischer Tricks bedient, "die sonst dem Lumpenjournalismus vorbehalten waren".

Flaig diagnostiziert ein Bildungsdefizit, denn "wahrscheinlich" verlange das ethische Prinzip der Rechenschaftslegung in der antiken Rhetorik "zu viel von Habermas, der, wie so viele seiner Schüler, unter Vergangenheit die letzten acht Jahrzehnte versteht". Bildung habe Habermas stets den anderen überlassen. "Dementsprechend sehen seine Werke aus", meint der strenge Lateinlehrer aus Rostock.

Von welchem intellektuellen Zuschnitt Flaig ist, verrät er mit unbedarft gräkoromanischem Abendländertum: "Die athenische Demokratie ist für mich bedeutsamer als die Schoa. Und wer kann mir verbieten, ihr diese Bedeutsamkeit zu verleihen?" Niemand, denn es herrscht Meinungsfreiheit - auch für Kretins und idiotes (Stümper).

Den kleinen Makel jener "Demokratie", die auf Sklaverei beruhte, übersieht einer wie Flaig spielend. Der Skandal liegt nicht darin, dass Subalterne Dünkelhaftigkeit mit Meinungsfreiheit verwechseln, sondern dass die FAZ derlei druckt, weil ihr in Sachen Habermas noch das abgeschmackteste Meinen eine Breitseite wert ist.

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12 Kommentare

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  • K
    Kabal

    'Ganz alte Lateinlehrer verbanden "Bildung" mit der Beherrschung der Consecutio Temporum, also der Zeitenfolge in komplexen Satzgefügen. Im Umkehrschluss galten jene, die diese nicht beherrschten, als ungebildet und moralisch defekt. Mit dieser Marotte wurde nach 68 aufgeräumt.'

     

    Ja, richtig, mit wissenschaftlicher Genauigkeit wurde nach 68 endlich aufgeräumt! Ebenso mit redlichem Verhalten in der Diskussion. Da ist sich der Verfasser des Artikels dann ja im Kern mit Herrn Flaig einig - der übrigens kein Lateinlehrer ist. (Aber wer wird da schon so dünkelhaft auf Fakten herumreiten.)

    An dieser Kernaussage führt letztlich auch kein Weg vorbei: Habermas hat vor 25 unredlich gearbeitet - er hat Zitate verdreht und erfunden, er hat denunziert statt diskutiert. Er hat gegen die Grundsätze seiner eigenen normativen Theorie gehandelt und eine diskursfreie Herrschaft statt eines herrschaftsfreien Diskurses geführt.

    Und, anders als im Artikel behauptet, hat er sich an den entscheidenden Punkten nie korrigiert - geschweige denn entschuldigt. Er hat sich, im Gegenteil, stets einem direkten Gespräch mit Ernst Nolte verweigert. Auch heute ist er dazu immer noch nicht bereit.

    Ja: Sechs, setzen, Herr Habermas!

  • T
    thomsen

    Natürlich ist die Beachtung der "Consecutio Temporum" eine "dünkelhafte Marotte" - überhaupt sollte man jedes Anzeichen von sprachlicher Professionalität als arrogant denunzieren. Am besten, alle schwätzen wie in einer Beziehungs-Talk-Show bei RTL II!

     

    Ist der Autor eigentlich konsequenterweise auch gegen gekonnten Fussball, professionelle Musik, gute Küche, anständige Zahnkronen, funktionierende Flugzeuge, zuverlässige Autos usw?

  • K
    Kabal

    'Ganz alte Lateinlehrer verbanden "Bildung" mit der Beherrschung der Consecutio Temporum, also der Zeitenfolge in komplexen Satzgefügen. Im Umkehrschluss galten jene, die diese nicht beherrschten, als ungebildet und moralisch defekt. Mit dieser Marotte wurde nach 68 aufgeräumt.'

     

    Ja, richtig, mit wissenschaftlicher Genauigkeit wurde nach 68 endlich aufgeräumt! Ebenso mit redlichem Verhalten in der Diskussion. Da ist sich der Verfasser des Artikels dann ja im Kern mit Herrn Flaig einig - der übrigens kein Lateinlehrer ist. (Aber wer wird da schon so dünkelhaft auf Fakten herumreiten.)

    An dieser Kernaussage führt letztlich auch kein Weg vorbei: Habermas hat vor 25 unredlich gearbeitet - er hat Zitate verdreht und erfunden, er hat denunziert statt diskutiert. Er hat gegen die Grundsätze seiner eigenen normativen Theorie gehandelt und eine diskursfreie Herrschaft statt eines herrschaftsfreien Diskurses geführt.

    Und, anders als im Artikel behauptet, hat er sich an den entscheidenden Punkten nie korrigiert - geschweige denn entschuldigt. Er hat sich, im Gegenteil, stets einem direkten Gespräch mit Ernst Nolte verweigert. Auch heute ist er dazu immer noch nicht bereit.

    Ja: Sechs, setzen, Herr Habermas!

  • FR
    Falko Rimmler

    Es ist das wohl deutlichste Zeichen der geistigen Verkümmerung, dass sich konservative Gemüter noch immer an einem Streit von vor 25 Jahren aufgeilen können, womit der Frankfurter Schule ein Makel angedichtet werden kann. Verbirgt sich dahinter doch lediglich die Scham, dass es in diesen Kreisen seit Carl Schmitt zu keinem großen Denker mehr gereicht hat. In diesem Lichte wird die scheinbare Offensive eines Herrn Flaig zur reflexartigen Reaktion. Wer den Gegner diskreditiert hat muss schließlich die eigene Position nicht mehr begründen.

  • R
    reblek

    "Den kleinen Makel jener 'Demokratie', die auf Sklaverei beruhte, übersieht einer wie Flaig spielend." - Wer sich die Mühe macht, das Werk "Misogynie" von Jack Holland zu lesen, wird feststellen, dass es nicht nur an "Demokratie" mangelte in Athen (oder auch Rom), sondern auch an Gleichheit, denn der Frauenhass war unter den "angesehenen" Philosophen höchst angesehen.

  • K
    Karl

    Subalterne in diesem Kontext zu verwenden reicht dann aber auch höchstens für eine 5-.

  • M
    Mari

    Nicht der Islam an sich, wie Professor Flaig meint, sondern nur der orthodox-sunnitische Islam ist genuin gewaltbereit.

     

    Nach den Regeln des orthodox-sunnitische Islams ist beispielsweise die Eroberung immer neuer Territorien für den Islam eine kollektive religiöse Pflicht (fard kifaya) der Gemeinschaft der Muslime (umma). Wird kein Neuland erobert, machen sich alle Muslime kollektiv schuldig.

     

    Auch das Bestimmung, dass Menschen zu töten sind, die den Islam verlassen wollen, ist integraler Teil des orthodox-sunnitischen Regelsystems.

     

    Im Alevitentum sieht das alles ganz anders aus.

     

    Professor Flaig hätte also unbedingt differenzieren müssen..

  • H
    hto

    ""Die athenische Demokratie ist für mich bedeutsamer als die Schoa."

     

    Ja, hätte sich Demokratie so entwickelt wie sie hätte sollen, dann hätte es die Schoa nicht gegeben.

     

    Stattdessen haben wir heute den "freiheitlichen" Wettbewerb und sein "gesundes" Konkurrenzdenken, über den sich so manch blödsinnigerStreit der gutbürgerlich-gebildeten Suppenkaspermentalität entfachen läßt - Historiker sind doch auch nur systemrationale Symptome.

  • L
    Lionheart

    "Von welchem intellektuellen Zuschnitt Flaig ist, verrät er mit unbedarft gräkoromanischem Abendländertum: "Die athenische Demokratie ist für mich bedeutsamer als die Schoa. Und wer kann mir verbieten, ihr diese Bedeutsamkeit zu verleihen?" Niemand, denn es herrscht Meinungsfreiheit - auch für Kretins und idiotes (Stümper)."

     

    Sehr schön, gut gebrüllt, Löwe, vielen Dank - der FAZ-"Jungschütze" Flaig ist ja wohl nicht ganz schussecht!

    Seine Borniert- und Verbortheit macht sprachlos. Mit vernünftigen Argumenten ist solchen Leuten nicht beizukommen. Das ist das Allerärgerlichste. Wirft kein gutes Licht auf die Redlichkeit der FAZ. Pfui Deibel!

  • MM
    Matthias Mersch

    Flaigs offenbar epochalen Artikel habe ich leider noch nicht lesen, da faz.net auf die Lektüre noch einen Frische-Obolus erhebt, den ich als notorischer Internetschnorrer nun einmal partout pardauz nicht berappen möchte. So viel Bias von Priene muss sein!

    Dennoch wage ich zwei Konjekturen. Die von Rudolf Walther bekrittelte Stelle: “Die athenische Demokratie ist für mich bedeutsamer als die Schoa” ist einer falschen Lesart geschuldet. Statt “Schoa” stand im natürlich handgeschriebenen Manuskript ursprünglich “Stoa” und so wird dann auch ein eleganter Schuh daraus! Aber auch Herrn Walther ist ein bedauerlicher Fehler unterlaufen: er schreibt “Kretin”, meint aber “Kriton”!

    Das von Flaig gepflegte Erstellen von Hitlisten historischer Ereignisse und Persönlichkeiten (“best of...”, “one of my all time favorites!”) ist ungefähr so sinnvoll wie das Diktum: Also irgendwie fand ich Solon auch geiler als Hitler! Das ist zwar endlich mal ein Hitlervergleich, zu dem ich mich vorbehaltlos bekenne, angesichts dessen aber ein unvoreingenommer Beobachter den Grind kratzend ausrufen mag: “So what?”

  • H
    Hering

    Okay, nennt mich ungebildeten Jüngling, aber mir ist dieser Artikel eindeutig zu meta. Ein kleiner Denkanstoß, wobei es bei der Habermas-Diskussion damals vor 25 Jahren ging, wäre schon nicht schlecht gewesen.

  • HA
    Hans Adam

    Schöner Kommentar!