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Dubiose Fährten im Fall „La Belle“

■ Zwei Jahre nach dem tödlichen Anschlag auf die Berliner Diskothek wird eine „Bombenlegerin“ präsentiert / Ein Zeuge soll jetzt die Festgenommene als La Belle-Besucherin vom Tattag auf Fotos wiedererkannt haben

Berlin (ap/taz) – Zwei Jahre nach dem Anschlag auf die Berliner Diskothek, bei dem drei Menschen getötet und über 200 teilweise schwer verletzt worden waren, hat jetzt die Generalstaatsanwaltschaft überraschend die „mutmaßliche Bombenlegerin“ präsentiert. Als Tatverdächtige wurde gestern in Lübeck die 27jährige Christine Endrigkeit festgenommen, nach der die Ermittlungsbehörden am Sonntag abend übers Fernsehen hatten fahnden lassen.

Die Beschuldigungen gegen die jetzt festgenommene Frau und die Anhaltspunkte für ihre mögliche Tatbeteiligung sind jedoch mehr als windig.

Nach Ansicht der Berliner Justizbehörde steht die 27jährige unter dem Verdacht, die tödliche Bombe in die vorwiegend von US- Soldaten besuchte Diskothek gebracht zu haben. Christine Endrigkeit sei, so behaupten die Ermittlungsbehörden, eine Bekannte des in Berlin inhaftierten Jordaniers Ahmed Hasi, den die Berliner Polizei kurze Zeit nach dem Anschlag als Täter benannt hatte. Hasi hatte in seinen Vernehmungen zwar einen Anschlag auf die „Deutsch-Arabische Gesellschaft“ eingestanden, für den er zur Zeit eine Haftstrafe von 14 Jahren verbüßt. Er bestreitet jedoch jegliche Beteiligung an dem Anschlag auf „La Belle“. Tatsächlich sind die Beweise für eine mögliche Tatbeteiligung Hasis so dünn, daß es nach zweijähriger Ermittlungsarbeit nicht einmal zu einer Anklage, geschweige denn einem Prozeß gegen ihn gekommen ist.

Obwohl nicht einmal geklärt ist, ob Ahmed Hasi in irgendeinem Zusammenhang zu dem „La Belle“ Anschlag steht, beruht die Festnahme der Christine Endrigkeit jetzt auf ihrer mutmaßlichen Bekanntschaft mit Hasi. Hasi, so die Ermittlungsbehörden, habe ihr wahrscheinlich den Auftrag für den Anschlag erteilt.

Der Berliner Justizsprecher Kähne erklärte gestern, man sei anhand von „Unterlagen und Zeugenaussagen“ auf Christine Endrigkeit gestoßen. Was für Unterlagen das sind und woher die jetzt nach zwei Jahren plötzlich auftauchten, wollte Kähne nicht beantworten. Zeugen hätten die junge Frau jedoch als Besucherin der Diskothek am Tattag wieder- erkannt. Auf genauere Nachfragen räumte Kähne ein, die Fotos der Frau seien „vielen“ Zeugen vorgelegt worden.

Einer von ihnen hätte sie als „La Belle-Besucherin“ erkannt. Auf Nachfragen schränkte der Justizsprecher auch ein, man glaube nicht unbedingt, mit der Festnahme der jungen Frau, den „Fall“ La Belle tatsächlich aufgeklärt zu haben. Genaueres müßten erst die polizeilichen Vernehmungen ergeben, zu denen Christine Endrigkeit am Montag nach Berlin transportiert werden sollte. In den Montagsausgaben der Boulevard-Presse wurde die 27Jährige schon als „die Bombenlegerin“ abgebildet. Zu dieser Version hatten die Berliner Behörden u.a. auch durch die Information beigetragen, daß die seit dem 30. Dezember mit Haftbefehl gesuchte Frau „untergetaucht“ sei. Die Bild-Zeitung wußte jedoch schon am Sonntag abend, daß Frau Endrigkeit sich bei der Berliner Meldebehörde ordnungsgemäß nach Lübeck abgemeldet hatte, wo sie dann auch tatsächlich festgenommen wurde.

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