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„Du Spasti hast kein Recht zu leben“

■ Kieler DPWV erstellte einen Bericht über Gewalt gegen Behinderte

„Du Krüppel im Rollstuhl. Morgen mitternacht bringe ich Dich um.“ Oder: „Du behinderter Spasti hast kein Recht zu leben.“ Seit März vergangenen Jahres bekommt der durch Multiple Sklerose (Muskelschwund) erkrankte Pinneberger wiederholt telefonische Drohungen dieser Art. Im Februar 1993 wird ein körperbehinderter, 26jähriger von zwei jüngeren Männern so stark in den Bauch getreten, daß eine ärztliche Behandlung notwendig ist. Zwei Beispiele von insgesamt 98, die dem Forum GEGEN GEWALT an behinderten Menschen als Grundlage für einen jetzt veröffentlichten Bericht diente.

Gesucht wurden Antworten auf immer gleiche Fragen: Was ist der Grund für solche Übergriffe? Wer macht sowas? Wie kann man sich schützen? Wie kann man dieser Entwicklung Einhalt gebieten?

Eindeutige Antworten können auch die Herausgeber nicht geben: „Es gibt eben nicht nur einen Grund und eine Ursache, sondern eine Vielzahl von Bedingungen, die in unterschiedlichster Art und Weise miteinander verknüpft sind.“

Als rechtsradikal wurden zum Beispiel nur 15 Personen in 87 Berichten bezeichnet. Problematisch ist eher das Alter – die jüngsten Täter waren gerademal 10 Jahre alt. Vielmehr sehen die Herausgeber den Grund für die wachsende Zahl von Übergriffen in der wieder auflebenden Euthanasie-Debatte. So zitieren sie aus dem umstrittenen, 1985 in Oxford erschienen Buch von Peter Singer und Helga Kuhse Should the baby live?: „Man muß sich fragen, wieviel an Aufwendung für diese Form der Betreuung realistischerweise von einer Gemeinschaft erwartet werden kann?“

Eine Folgeerscheinung der stärkeren Gewaltanwendung und Ablehnung behinderter Menschen gibt es jedenfalls schon: 72 Prozent derjenigen, die physischer Gewalt ausgesetzt waren, ziehen sich aus dem öffentlichen Leben zurück.

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Der Bericht „Gewalt gegen Menschen mit Behinderungen in Deutschland“ ist zu beziehen beim Paritätischen Wohlfahrtsverband, Beselerallee 57, 24105 Kiel

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