Drogen unter Aufsicht: Polizei pflanzt Cannabis
Ein Testfeld soll helfen, die Produktivität ausgehobener Plantagen einschätzen zu können. Behörden unterliegen nicht dem gesetzlichen Anbauverbot.
HAMBURG taz | In einem Keller grünt der Hanf. Biologen der Dienststelle Kriminaltechnische Untersuchung (KTU) experimentieren in der Polizeikaserne Hamburg-Alsterdorf mit der Aufzucht von Cannabis-Pflanzen. Ihr Ziel: festzustellen, welche Sorte unter welchen Bedingungen wie viel von dem Rauschmittel Tetrahydrocannabinol (THC) bildet. Das soll helfen, die Produktivität von ausgehobenen Hanf-Plantagen zu schätzen und die Strafe für die Plantagen-Betreiber festlegen zu können.
Nach Auskunft des Leiters der KTU, Ingo Röder, zieht die Polizei im Rahmen des Projekts vier Generationen mit je 50 Setzlingen auf. Die zweite Generation ist jetzt geerntet worden. Die Biologen ziehen unterschiedliche Sorten von Cannabispflanzen unter verschiedenen Bedingungen: mit und ohne Tag-/Nacht-Simulation, mit viel oder wenig Wasser, bei unterschiedlichen Düngern und wechselnden Temperaturen.
Die Polizisten simulieren auf diese Weise die Bedingungen, die sie in den illegalen Plantagen vorfinden, die ihre KollegInnen immer mal wieder entdecken. Je nach dem Grad der Erfahrung und Professionalität gedeihen die Pflanzen dort mehr oder weniger prächtig - und sie erzeugen mehr oder weniger des Wirkstoffs THC.
Das Entscheidende beim Cannabis oder Hanf ist das Rauschmittel Tetrahydrocannabinol (THC).
Nach Paragraf 3 des Betäubungsmittelgesetzes braucht man eine Ausnahmegenehmigung, um Betäubungsmittel anbauen, herstellen, mit ihnen Handel treiben zu dürfen. Die Erlaubnis wird erteilt vom Bundesinstitut für Arzneimittel und Medizinprodukte. Behörden brauchen keine besondere Erlaubnis.
Mehr als 7,5 Gramm gelten nicht mehr als "geringe Menge". Das entspricht 500 Konsum-Einheiten zu 15 Milligramm. Wer damit erwischt wird, muss mit einer Freiheitsstrafe von mindestens einem Jahr rechnen.
"Im Markt gibt es sehr unterschiedliche Produkte mit sehr unterschiedlichem THC-Gehalt", sagt Röder. Der THC spiele im Betäubungsmittelgesetz aber eine wichtige Rolle bei der Frage, ob die Geringfügigkeitsschwelle überschritten wird.
Mit den Forschungsergebnissen will die Polizei ihre Position vor Gericht verbessern. "Unsere Gutachter werden immer wieder gefragt: Was liegt für ein Ertrag vor?" Die Erkenntnisse aus der Plantage, so Röder, sollten helfen, diese Frage mit einer größeren Sicherheit als heute zu beantworten.
Antje Möller, die bei der Hamburger Grünen-Fraktion für die Innenpolitik zuständig ist, fragt sich, ob die Polizei hier den richtigen Schwerpunkt gelegt hat. "Wenn solche Erkenntnisse wirklich notwendig sein sollten, scheint das mir eher eine Aufgabe für eine wissenschaftliche Einrichtung zu sein", sagt Möller, "als für ein Do-it-yourself-Projekt der Polizei."
Dass die Polizei selbst so ein Experiment aufgezogen hat, liegt daran, dass das Anbauen und Herstellen von Betäubungsmitteln laut Betäubungsmittelgesetz verboten ist. Ausnahmen etwa für die Wissenschaft muss das Bundesinstitut für Arzneimittel und Medizinprodukte genehmigen. Bei der Universität Hamburg hätte das ein bis zwei Jahre gedauert, schätzt Röder. Die Polizei ist dagegen frei: "Bundes- und Landesbehörden für den Bereich ihrer dienstlichen Tätigkeit sowie die von ihnen mit der Untersuchung von Betäubungsmitteln beauftragten Behörden", heißt es im Gesetz, brauchen eine solche Erlaubnis nicht.
Der Berliner Hanf-Aktivist Steffen Geyer bezweifelt, ob es überhaupt legitim ist, den THC-Ertrag einer Cannabis-Plantage zu schätzen: "Man kann nur für etwas verurteilt werden, das man getan hat." Wenn sich jemand Hanfsamen und Blumentöpfe bestelle, folge daraus noch kein bestimmter THC-Ertrag. "Man könnte ja ein unfähiger Bauer sein", sagt Geyer.
In das Projekt der Hamburger Polizei ist auch die örtliche Hochschule für angewandte Wissenschaften (HAW) eingebunden. Eine Studentin habe im Rahmen ihres Hauptpraktikums die elektronische Schaltung für die Klimasteuerung im Treibhaus entwickelt, sagt Jan-Klaas Böhmke von der HAW. Das sei aber "kein Projekt" der Hochschule.
taz lesen kann jede:r
Als Genossenschaft gehören wir unseren Leser:innen. Und unser Journalismus ist nicht nur 100 % konzernfrei, sondern auch kostenfrei zugänglich. Texte, die es nicht allen recht machen und Stimmen, die man woanders nicht hört – immer aus Überzeugung und hier auf taz.de ohne Paywall. Unsere Leser:innen müssen nichts bezahlen, wissen aber, dass guter, kritischer Journalismus nicht aus dem Nichts entsteht. Dafür sind wir sehr dankbar. Damit wir auch morgen noch unseren Journalismus machen können, brauchen wir mehr Unterstützung. Unser nächstes Ziel: 40.000 – und mit Ihrer Beteiligung können wir es schaffen. Setzen Sie ein Zeichen für die taz und für die Zukunft unseres Journalismus. Mit nur 5,- Euro sind Sie dabei! Jetzt unterstützen
meistkommentiert
Abschiebung erstmal verhindert
Pflegeheim muss doch nicht schließen
Hoffnung und Klimakrise
Was wir meinen, wenn wir Hoffnung sagen
Negativity Bias im Journalismus
Ist es wirklich so schlimm?
Künstler Mike Spike Froidl über Punk
„Das Ziellose, das ist doch Punk“
Rechte Gewalt in Görlitz
Mutmaßliche Neonazis greifen linke Aktivist*innen an
Lohneinbußen für Volkswagen-Manager
Der Witz des VW-Vorstands