Dresdner Katalog- und Ausstellungsprojekt: Made in Knast
Produkte, die aus Knastarbeit entstanden sind, werden tabuisiert. Das Projekt "Büroklammern biegen" versucht mit Foucault, Fotos und Stickereien eine Annäherung.
"Obwohl das Recht auf Arbeit besteht, beträgt die Arbeitslosigkeit bis zu 50 Prozent. Manchmal liegt sie auch weit darüber. Die Leute, die Beschäftigung haben, sind entspannter, weniger aggressiv, bilden eigene Gruppen", erzählt ein Häftling über den Haftalltag und das Erwerbsleben hinter Gefängnismauern. Er weiß, wovon er spricht. Wegen Diebstahl und Hehlerei saß der junge Mann unter anderem in der JVA Chemnitz ein und war in der Tischlerei mit der Herstellung von Kanninchenställen beschäftigt. Im Knast zu arbeiten, sagt er, habe er bei aller Monotonie als Privileg empfunden, nicht nur des Aufschlusses wegen. "Man wird früh geweckt, kann die Zelle verlassen, hat Bewegung und ist abgelenkt. Die Zeit vergeht schneller und man verdient auch ein bisschen", fasst er die Vorteile der 1,30-Euro-Jobs zusammen.
Woran liegt es aber, dass über diese Form der Erwerbsarbeit, ihre ökonomische Dimension und die Erzeugnisse made in jail so wenig bekannt ist? Während das Repertoire der Dienstleistungen von Haftanstalten in Deutschland von Kfz-Pflege, Garten- und Landschaftsbau über Wäschereien, Druckereien oder auch Gravurbetriebe reicht, sind die von den Strafgefangenen hergestellten Produkte oft nicht als solche zu erkennen. Das liegt an Berührungsängsten in der Bevölkerung, wie die Fotografin Karen Weinert erzählt, und an der Furcht vor Imageverlust von Firmen aus der Privatwirtschaft, die hier preiswert produzieren lassen. Das geht teilweise so weit, dass einige Betriebe, etwa aus der Spielzeugbranche, über haftinterne Fertigungsabläufe ein Bilderverbot verhängen.
Weinert und ihre beiden künstlerischen Mitstreiterinnen, Susanne Hanus und Nadin Reschke Kindlimann, haben über formelle und informelle Ökonomien in sächsischen Justizvollzugsanstalten recherchiert und nun eine Ausstellung dazu konzipiert. Junge SoziologInnen wie Tino Schlinzing und Kathrin Krahl und die Museologin Susanne Weiß stehen dem Projekt "Büroklammern biegen", das derzeit im Ausstellungsraum Bautzener69 in Dresden zu sehen ist, mit klugen Analysen zur Seite. Ausstellung und Katalog beschäftigen sich mit die Arbeit im Gefängnis aus einer doppelten Perspektive.
Einerseits wird unter theoretischer Bezugnahme auf Michel Foucaults Abhandlung "Überwachen und Strafen" danach gefragt, welche Rolle der Arbeit innerhalb des Gefängnissystems zukommt. Strafhaft ist Freiheitsberaubung und zielt zugleich auf eine technische Umformung der Individuen, wie Foucault meint. Daran schließt Schlinzing an, wenn sie schreibt, dass die Arbeitsstelle im Vollzugsalltag zum Faustpfand der Disziplinierung der Insassen wird. "Der Entzug der Arbeit ist der Preis für Ungehorsam." Im Kern wird eine Erziehungsideologie deutlich, so Schlinzing, die auf der Annahme beruht, dass mangelnde Sozialisation und Untätigkeit als Ursache von Verbrechen angesehen werden und intensives regelmäßiges Arbeiten die heilsamste aller Läuterungstechniken darstellt. Krahl/Weiß weisen auf die Schizophrenie der Produktionsverhältnisse hin, die oftmals auch einen zynischen Beigeschmack haben. Beispielsweise dann, wenn Gefangene mit der Herstellung von Gefängnisgittern beschäftigt werden.
Andererseits nähern sich Ausstellung und Katalog ihren Gegenständen vor allem ästhetisch. Für ihre Fotoserie "5,80 m" hat Karen Weinert über ein Jahr lang die Grenze zwischen drinnen und draußen in den Blick genommen. Im Laufe der Zeit überwuchert wilder Wein und Gestrüpp dornrößchenhaft einzelne Mauersegmente der JVA Dresden. Die Naturformen scheinen sich der Inklusionsarchitektur zu bemächtigen und diese selbst wiederum einzuschließen. Die Fotos fungieren jedoch nicht nur als Metaphern für die eingefrorene Zeit hinter den Gefängnismauern, sondern verweisen auch auf die Unsichtbarkeit von Haftanstalten und ihrer Ökonomie, die ja zumeist an der Peripherie des städtischen Raums oder im Umland gelegen sind.
Diese Architektur und ihre psychologische Wirkung liegt auch zum Teil den ausgestellten Stickereien auf Häftlingstaschentüchern inhaftierter Frauen der JVA Chemnitz zugrunde, mit denen die Künstlerin Reschke Kindlimann kooperiert. Der nüchterne Blick von außen in den Fotos von Weinert wird auf der anderen Seite in der Ausstellung mit subjektiven Innenansichten weiblicher Gefangener kontrastiert, die Unsicherheit, Ungewissheit und Beklemmung wegen der bevorstehenden Entlassung verraten.
Sachlich dokumentiert Weinert in einem nächsten Schritt die sogenannten Eigenbetriebe der Haftanstalten. Die kargen und aufgeräumten Werkstätten, Schlossereien oder Gewächshäuser zeigen kaum Einschreibungen der hier beschäftigten Häftlinge. Außerdem korrespondieren sie mit der betonten Funktionalität und Normierung der in der Ausstellung nach Prinzipien von ready-made und object trouvé gezeigten Produktpalette. Die umfasst unter anderem Behördenmobiliar für Ämter und Gerichte, also Produkte wie Schreibtische, Schränke oder Stühle, aber auch Arbeitskleidung, Räuchermännchen oder eine Staffelei. Ein wenig kommt man sich dabei vor wie in einem Möbelhaus. So scheinen künstlerischer und sozialer Ansatz miteinander zu kollidieren. Ausstellung und Katalog verstehen sich nämlich gleichzeitig auch - in Anlehnung an den vom sächsischen Justizministerium betriebenen virtuellen Online-Shop "Gitterladen" - als eine Art Ladengeschäft und Werbefläche.
Gelungen ist die Ästhetisierung der Produkte aus dem Gefängnis, wenn mit Verfremdungstechniken gearbeitet wird. Die von Hanus/Weinert hinter dickem Plexiglas eingeschlossene Tätowiermaschine Marke Eigenbau verweist auf die Schattenökonomie in den Gefängnissen, die in der Ausstellung leider nur kurz angedeutet wird.
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