Dresdener Bildungsgipfel: Förderschulen schaffen Schulabbrecher
Fazit des Dresdener Bildungsgipfels: Für den Kitaausbau fehlen 10.000 Erzieherinnen jährlich. Und ohne Reform der Sonderschulen ist die Zahl der Schulabbrecher nicht zu halbieren.
Einen Tag vor dem großen Gipfeltreffen von Kanzlerin und Ministerpräsidenten in Dresden gab es noch mal Verwirrung. Plötzlich standen die Studenten als die Bildungsverlierer da, weil sie sich durch die Studiengebühren vom Gang an die Hochschulen abschrecken lassen. Vor allem auf dem Bildungskompass des Deutschen Gewerkschaftsbundes (DGB) in Berlin herrschte Zerknirschung - denn die Studiengebühren pusteten die Aufmerksamkeit für den Alternativ-Gipfel der Gewerkschaften völlig beiseite. Schade. Denn die Veranstaltung in der Katholischen Akademie in Berlin zeigte nochmals, wo die echten Bildungsverlierer sitzen - und dass zu wenig getan wird, um Bildungsarmut zu bekämpfen.
Das vielleicht peinlichste Beispiel ist der geplante massive Ausbau von Kitas bis zum Jahr 2013. Allenthalben wird die frühkindliche Bildung als das Schlüsselelement gegen Bildungsarmut gehandelt. Sei es über eine höhere Besuchsquote von Krippen und Kindergärten, sei es über Sprachförderung oder über erste naturwissenschaftliche Experimente im Kleinkindalter. Der Bildungsökonom Klaus Klemm macht ein dicken Strich durch diese Rechnung - nicht etwa, weil er die Sinnhaftigkeit der Ziele anzweifelt, sondern weil es schlicht an Erzieherinnen fehlt.
Klemm ist Emeritus an der Uni Duisburg-Essen und einer der kompetentesten Bildungsökonomen. Er hat errechnet, dass jährlich ein Einstellungsbedarf von 17.000 Erzieherinnen besteht. So viele Erzieherinnen braucht das Land, wenn es bis 2015 insgesamt 750.000 Plätze in Krippen zur Verfügung haben will und die vielen ausscheidenden Kitakräfte ersetzen will. Es werden 13.000 Erzieherinnen für Krippen gebraucht und rund 4.000 für Kitas. Aber diese Zahl ist nicht erreichbar. Denn bislang bringen Fachschulen und -akademien eben nur 7.000 neue ErzieherInnen auf den Markt - es fehlen also 10.000 jährlich.
Nach Klemm ist das kein Zufall, "sondern ein fundamentaler Fehler der Politik." In der empirisch exakten Beschreibung des Status quo sei das Land inzwischen Spitze - aber in der Bildungsplanung sei es völlig chaotisch. "Die koordinierte Bildungsplanung zwischen Bund und Ländern ist weg - jeder macht, was er will", sagte Klemm.
Klemms Kollege Hans Döbert zeigte ebenfalls am Beispiel der Kitas, wie verquer die bildungspolitische Debatte läuft. Alle Bildungsexperten und -politiker betonen, dass die frühe sprachliche Förderung von Migrantenkindern wichtig sei. Auch die Kanzlerin hat das Thema ganz oben auf die Tagesordnung gesetzt. Allein die Umsetzung spottet jeder Beschreibung. "Bislang stellen die Bundesländer nur den Sprachstand der Kitakinder fest", sagte Döbert. "Aber außer beim Programm Delfin 4 in Nordrhein-Westfalen nimmt kein Bundesland die entsprechende Förderung danach vor. Alle anderen messen nur."
Ob sich das ändern wird mit dem heutigen Bildungsgipfel, ist unwahrscheinlich. Denn bei der Sprachförderung vor der Einschulung sind die Staatskanzleien der Länder schon vor dem Gipfel kräftig zurückgerudert. Sie strichen den Hinweis, dass sie "bis 2012 flächendeckend und kostenfrei" angeboten werden soll.
Die schwerste Niederlage aber wird der Bildungsgipfel für die Schulabbrecher bringen. Sie waren es, welche die ursprünglich Qualifizierungsoffensive genannte Maßnahme auslösten. Getrieben von der EU bestand Bundesbildungsministerin Annette Schavan darauf, ein Maßnahmenpaket gegen Schulabsolventen ohne Abschluss zu verabschieden. Es war die Situation, in der der Bund erstmals harte Worte gegen die Länder fand. Denn die verweigern sich jeden Eingriffs in ihre Bildungshoheit - sobald aber Schüler ohne Abschluss die Schulen verlassen, darf der Bund ran, um Ersatzmaßnahmen zu bezahlen.
Nun verabredete man in den Vorgesprächen zum Gipfel, die Zahl der Schulabbrecher binnen fünf Jahren zu halbieren. Derzeit verlassen knapp 80.000 jährlich die Schulen ohne Abschluss. Über die Halbierung wird heute noch gestritten werden - denn die Ministerpräsidenten wollen ihr nicht zustimmen. Aber Hans Döbert zeigte beim DGB, dass selbst der Beschluss einer Halbierung nur zu machen ist, wenn man tiefgreifende Strukturreformen unternimmt. "Wer die Zahl der Schulabbrecher halbieren will, muss zunächst alle Hauptschüler zum Erfolg bringen", sagte Döbert. "Das allein ist schon schwierig." Zudem müsse man an die Förderschulen ran. Tatsächlich gehen 80 Prozent Absolventen ohne Abschluss ab. Allerdings ist es in manchen Ländern völlig unmöglich, die Zahl der Abschlüsse an Förderschulen zu erhöhen - denn sechs Bundesländer bieten Sonderschülern gar keinen Hauptschulabschluss an. "Das ist eine Behinderung dieser Schüler", sagte Döbert, "und es sind gesetzliche Maßnahmen nötig, um dies zu ändern."
Die entscheidende Messgröße für die Wissensgesellschaft aber sind die Akademiker. Um ihre Zahl zu steigern soll der Anteil der Studienanfänger von 37 Prozent auf 40 Prozent steigen. Auch das entlarvte Klaus Klemm. "Wenn die Quote auf 40 Prozent steigt, dann steigt die absolute Zahl der Studenten nicht etwa - sondern sie sinkt." Warum? Weil heute der Jahrgang der 20-Jährigen 966.000 Personen stark ist - im Jahr 2020 aber nur noch 800.000. "Man kann nicht nur mit Quoten argumentieren", sagte Klemm, "aber das weiß halt nicht jeder."
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