vorlauf : Dreigroschenoper
„Mache alles! Jeden Tag! – Tagelöhner in Deutschland“ (22.00 Uhr, WDR)
37 Jahre alt, nichts gelernt: Michael Grunewald träumt davon „ein einziges Mal zu fliegen“. Und zwar nicht über die Bordsteinkante oder aus dem Job, sondern in den Urlaub. Auch Franz Balzuweidt (62 Jahre) ist tief gefallen. Der ehemalige selbstständige Stuckateur hatte vor rund 30 Jahren einen Arbeitsunfall. Seitdem ist er sozial ganz unten und verbringt seine Zeit mit Knochenjobs. Zwei bis drei Stunden am Tag, für acht bis zehn Euro Stundenlohn. Der 46-jährige Sozialhilfeempfänger Heinz Osmialowsky malocht ebenfalls immer wieder bei Umzügen, Entrümpelungen und verdient sich etwas dazu. Sie alle tingeln von einem Job zum nächsten. Der Rest ist Warterei im Schnelldienst auf dem Essener Arbeitsamt.
Gudrun Thomas’ und Sebastian Schütz’ Sozialreportage erzählt die Geschichte von Menschen, die jeden Tag darum kämpfen, nicht „zum letzten Dreck zu gehören“, konsequenterweise mit Musik aus der Dreigroschenoper unterlegt. Die Stärke des Films ist die präzise Skizzierung der Charaktere der Underdogs. So wird deutlich, dass Michael, Franz und Heinz mitnichten jenem angeblichen Faulenzer-Heer angehören, das von den Regierenden stets absichtsvoll zur eigenen Entlastung angeführt wird. Sie sind keine unrealistischen Vagabunden, sondern freundliche, arbeitsame und pünktliche Malocher, die sich nichts sehnlicher wünschen, als „abends zu wissen, was sie tagsüber getan haben“.
Die Reportage ist allerdings von Sozialromantik überzuckert. Tenor: Man trägt es mit Humor, ist Überlebenskünstler, würde sich doch ach so gern an alles anpassen, so mies die Verhältnisse auch sind. Wohl aus Angst, dass der Film zu depressiv geraten und nicht ins Glamour-Umfeld der „Wer wird Millionär?“-Fernsehlandschaft passen könnte, wird ein allzu nettes, harmonisierendes Bild der modernen Sklaverei entworfen.
Und auch wenn sonst alles im Film hinterfragt wird: Wenn die Männer in ihrer Hilflosigkeit auf die im Sozialgefüge noch unter ihnen stehenden „Ausländer“ schimpfen, wird das kommentarlos hingenommen. Ob dies wieder einmal der vermeintlichen „journalistischen Objektivität“ geschuldet ist?GITTA DÜPERTHAL