Dreiecksgeschichte "Mondkalb": Der Kopf zwischen den Schultern
Lauter Sackgassen, lauter verpatzte Lebensentwürfe: "Mondkalb", der neue Film von Sylke Enders.
Beim Antrittsgespräch gibt sich der neue Chef verständnisvoll: "Den Kolleginnen habe ich natürlich nichts erzählt." Gut für Alex (Juliane Köhler), wenn man so wenig über sie weiß wie möglich an ihrem neuen Wohn- und Arbeitsort. Dafür ist sie bereit, eine Tätigkeit weit unter ihrer Qualifikation anzunehmen. Doch in einer Kleinstadt kann nicht lange verborgen bleiben, dass sie wegen schwerer Körperverletzung im Gefängnis saß. Das Opfer: Ihr eigener Mann. Darauf reagiert jeder anders. Ihr Chef verzagt, ihre Kolleginnen abweisend. Nur einer sagt: "Soll mich das beeindrucken?" Piet (Axel Prahl) ist keiner, den man so leicht aus der Fassung bringen könnte. Es sei denn, sein eigener Sohn Tom (Leonard Carow).
"Mondkalb" von Regisseurin Sylke Enders erzählt eine Dreiecksgeschichte. Alex lernt Tom kennen, der auf ihrem Grundstück herumstreunt. Toms Mutter hat Selbstmord begangen, Piet ist mit der Erziehung überfordert, und wenn er Alex den Hof macht, dann auch, um Tom eine Familie zu bieten. Alex wiederum hat das, was sie getan hat, nicht verwunden. Ihre Tochter legt wütend auf, wenn sie anruft. An Tom könnte sie erweisen, dass eine gute Mutter in ihr steckt. Lauter Sackgassen und verpatzte Lebensentwürfe. Und auch die Hoffnung, die in der vorsichtigen Annäherung zwischen Alex und Piet liegt, hängt an einem dünnen Faden.
Viel erfährt man nicht darüber, wie es mit jeder der Figuren so weit kommen konnte. Alex' Exmann, den sie beinahe umgebracht hätte, steht irgendwann plötzlich in ihrem Wohnzimmer. Er drückt sie gegen den Wandschrank, presst seinen Körper an ihren: "Ich sehne mich so nach dir." Warum weglaufen bei so einem Ekelpaket nicht gereicht hat? "Niemand kann aus seiner Haut", meint Alex resigniert. Die Gründe für den Selbstmord von Piets Frau bleiben im Dunkeln. Umso stärker sind die Konsequenzen. Tom wird verhaltensauffällig, Piet aggressiv. Probleme schaffen Probleme. Das strapaziert nicht nur den Zuschauer, sondern auch die Dramaturgie.
Das Arthouse-Kino folgt gerne dem Credo: Je weniger das Drehbuch vorschreibt, desto mehr Freiraum bleibt für eine Inszenierung der kleinen Gesten und Andeutungen. Diese durchaus wohlverdiente Glaubensregel bedeutet auch, die gesamte Last den Schauspielern aufzubürden. Das kann ins Gegenteil umschlagen. Dann werden die Zeichen überdeutlich und Selbstmord, Gewalt, unverarbeitete Trauer werden zum erzählerischen Selbstzweck. Juliane Köhler als Alex drückt sich dermaßen weit in sich hinein und den Kopf zwischen ihre Schultern, dass man vom Zusehen Atemnot bekommt. Das mag man anerkennen als schauspielerische Tour de Force, das wirkt mitunter jedoch auch wie eine Anstrengung, ein darstellerisches Muskelspiel.
Wieso die Figur der Alex, die sich nichts sehnlicher wünscht, als allein gelassen zu werden, es nicht schafft, ihre Haustür abzuschließen, darf auch verwundern. So ziemlich jeder spaziert auf ihrem Grundstück und in ihre Wohnung, als wäre es eine Durchgangsstraße. Das sind Schwächen eines Films, der ansonsten angenehm geradlinig seine Geschichte entwickelt und es schafft, auch die kleinen Momente entspannten Glücks, die die Regisseurin ihren Protagonisten gönnt, wie in Klammern unter Vorbehalt zu setzen, wodurch sie nur umso wertvoller wirken.
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