Drei auf einen Streich weggeputzt

■ betr.: „Rechts ist da, wo Micha links ist“ und Folgeartikel, taz vom 16.4.94

Leute, kotzt Euch gegenseitig richtig aus, schreibt nicht soviel, was jeder immer so gesagt hat, macht es untereinander aus! Laßt den Micha Sontheimer in Ruhe! Er hat mehr Format als ein ganzes Dutzend dieser rechten Moralapostel, die in der Redaktion herumhocken. K. Strauß, Tettnang

Jetzt haben Sie Ihren Chef-Redakteur abgelöst, uns Lesern und Genossenschaftern einen Einblick in die gruppendynamische Struktur der Redaktion gegeben, ein Lehrstück erteilt, wie ein Kollektiv Feinbildbewußtsein exekutiert ... über inhaltliche Aspekte der Zeitung – selbstkritisch und heuristisch – erfuhren wir nichts. Nun mag ja die privatistische Nabelschau Unterhaltungswert haben, programmatisch steht die taz nach wie vor zwischen aktionistischem Idealismus, autistischer Verweigerung, semiprofessionellem Voluntarismus und snobistischer Ignoranz. Michael Sontheimer wollte dem augiastisch Herr werden und sie (die Redaktion) ließen ihn feixend scheitern. Linker Biographismus bürgt eben noch nicht für linken Journalismus!

Sie suchen jetzt, die alten Strukturen mit neuen Namen zu qualifizieren – ein Trial-and-Error-Verfahren, das die Experimentierenden immer durch Aktion edelt, die Aus-Erwählten zu Reaktion zwingt. Sagen projiziert sich ins Versagen! Die falsche Identität der Zeitung mit der Person des Chefredakteurs läßt durch dessen Ablösung Macht und Stärkepositionen klar werden, diagnostiziert dem Kollektiv gleichzeitig einen paranoiden Minderwertigkeitskomplex. Michael Sontheimer auswechseln ist erstes Zeichen von Verweigerung zur inhaltlichen Reflexion in einem Prozeß. Jetzt erst beginnt die Ära der journalistischen Affirmation für die taz. Nikolaus Dominik, dpa-Redakteur und Genossenschafter

Nach Eurem Tyrannenmord bin ich anscheinend nicht der einzige, der den Anlaß nicht versteht. Mir schien der Artikel, der Rückblick von Michael Sontheimer interessant, die Kritik am Entwicklungsweg der letzten Jahre richtig und dabei noch moderat. Die Stellungnahme der Redaktionsmehrheit zeigte mir zwar, daß bei Michael Sontheimer Anspruch und Wirklichkeit auseinanderklaffen, aber die Vorwürfe blieben unkonkret und waren für einen Außenstehenden nicht verständlich. Eine politische und eine persönliche Auseinandersetzung wurden in den Darstellungen der Redaktionsmehrheit vermengt. [...] Wolfram Dienel, Berlin

Mit erst großem Erstaunen, dann Entsetzen und Zorn habe ich am Wochenende die taz und ihre Jubiläumsausgabe gelesen. [...] Die restriktive Art und Weise, wie mit einer mißliebigen persönlichen Meinung einer Person, in diesem Fall des Chefredakteurs Michael Sontheimer, der die Entwicklung der taz aus seiner Sicht beschreibt, umgegangen wird, erinnert mich an Sanktionierungen in bestimmten Systemen. Es läßt mich an der Meinungsfreiheit in der taz zweifeln.

Gerade das Nebeneinander verschiedener Ansichten in der taz, die auch nicht immer meinen eigenen entsprechen, finde ich sehr wohltuend und erfrischend. Ein Beispiel dafür sind die zwei konträren Kommentare von Donata Riedel und Michael Sontheimer zum Thema Siemensboykott. [...] Karin Hirl, München

[...] Sontheimer scheint allen Ernstes davon überzeugt zu sein, er habe die taz eigentlich ganz alleine durch die Zeitläufe geschleppt und dabei noch eine träge nach rechts triftende Redaktion auf Linkskurs halten müssen. Wer so in den Eigenweihrauch abhebt, mit dem ist wahrscheinlich schlecht kommunizieren.

Aber daß Jürgen Gottschlich und Elke Schmitter sich sang- und klanglos gleich mit wegdefiniert haben, ist jammerschade, und daß die Redaktion das achselzuckend wortlos in Kauf zu nehmen scheitn, ganz unbegreiflich. Drei starke Schreiber auf einen Streich weggeputzt – tapferes Schneiderlein, hoffentlich hast du dir nicht die Hand verstaucht. Ohne Elke Schmitters wundervolle Pirouetten wird der taz-Alltag entschieden grauer werden. H. Kugler, Erlangen

[...] Da ich mir mehr Klarheit verschaffen wollte, was bei Euch eigentlich vorgeht, entschloß ich mich am Montag Abend an Eurer Redaktionssitzung bezüglich der Entlassung Michael Sontheimers teilzunehmen. Da ich keine Mitarbeiterin der Redaktion bin, erhielt ich kein Rederecht, aber immerhin einen Einblick in Eure wohl ziemlich konfusen Kommunikationsstrukturen. Ich kann auchjetzt noch nicht genau beurteilen, was die eigentlichen Hintergründe dieses unwürdigen Aktes sind. Empört und entsetzt bin ich über Euren Stil des Miteinanderumgehens, die deutlich spürbare Häme und Bösartigkeit mit der zumindest ein nicht kleiner Teil von Euch Eure zwischenmenschlichen Probleme zu „lösen“ versucht.

M.S. hat die taz vor 15 Jahren mitgegründet. Vor zwei Jhren habt Ihr ihn geholt, damit er die Dauerkrise der taz beenden solle. Das, was Ihr gegen ihn vorbringt, rechtfertigt in keiner Weise Euer Verhalten. [...] Karin Helsper, Berlin