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Drei Tage krank und ohne Lohn?

■ Koalition will unbezahlte Krankheitstage/ Einsparungen für Pflegeversicherung/ SPD: „Kuhhandel“

Bonn/Hamburg (dpa/taz) — ArbeiterInnen und Angestellten drohen neue Lohneinbußen: Die Bundesregierung will offenbar die unbezahlten Krankheitstage für ArbeitnehmerInnen wieder einführen, damit die ArbeitgeberInnen die eingesparte Summe für die geplante Pflegeversicherung verwenden können. Für die ersten drei Krankheitstage — Karenztage – müßten die Unternehmen dann keinen Lohn überweisen.

Der stellvertretende Vorsitzende der CDU/CSU-Bundestagsfraktion, Michael Glos (CSU), wertete die Überlegungen von CDU/CSU und FDP, die Karenztage für ArbeitnehmerInnen im Krankheitsfall erneut einzuführen, als ein Signal dafür, daß Sozialbudgets umfinanziert werden könnten und „nicht immer draufgesattelt“ werde. Er rechnet damit, daß diese Überlegungen einer Koalitionskommission nach Ostern bei der „fälligen weiteren Terminplanung für die Gesetzgebung“ von den Koalitionsspitzen beraten werden.

Bundeskanzler Helmut Kohl und führende CDU-Politiker plädieren für die gesetzliche Wiedereinführung der sogenannten Karenztage, um die Lohnnebenkosten der ArbeitgeberInnen zu senken. 10 bis 15 Milliarden Mark jährlich würden die Unternehmen nach Bonner Berechnungen einsparen. Diese Summe stünde dann der Pflegeversicherung zur Verfügung, die nach dem Willen von Arbeitsminister Norbert Blüm (CDU) je zur Hälfte von ArbeitnehmerInnen und ArbeitgeberInnen aufgebracht wird.

Gegen die Verknüpfung von Karenztagen und Pflegeversicherung wandte sich SPD-Bundesgeschäftsführer Karl-Heinz Blessing: „Diesen Kuhhandel machen wir nicht mit“, sagte er der 'Bild am Sonntag‘. Den „Kuhhandel“ befürworteten in der 'BamS‘ die CDU-Abgeordneten Friedhelm Ost und Roland Sauer sowie der FDP-Parlamentarier Josef Grünbeck.

1957 hatte die IG Metall mit einem Streik die Abschaffung der Karenztage für Arbeiter durchgesetzt. Seit der gesetzlichen Regelung der Lohnfortzahlung im Jahr 1969 erhalten auch ArbeiterInnen bei Krankheit sechs Wochen lang den vollen Lohn. Für Angestellte ist das meist in Tarifverträgen verankert, die nur mit Gewerkschaftszustimmung geändert werden können.

Die Ungleichbehandlung von ArbeiterInnen gegenüber Angestellten im Krankheitsfall ist nach Meinung des Bremer Arbeitsrechtlers Professor Wolfgang Däubler verfassungswidrig. Däubler unterstützte im Kölner 'Express‘ die Entscheidung des Landgerichts Hamm, in dieser Frage das Bundesverfassungsgericht anzurufen. Nach dem Lohnfortzahlungsgesetz müssen ArbeiterInnen am ersten Krankheitstag ein ärztliches Attest vorlegen. Für Angestellte fehlt eine Regelung. Meist müssen sie erst bei Erkrankungen von über zwei Tagen eine Bescheinigung einreichen.

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