Drei Protokolle aus Griechenland: Wir lassen uns nicht verstecken
Neonazis auf Patrouille, Habenichtse mit Laptops, die Einsamkeit der Arbeitenden: Drei GriechInnen erzählen, wie die Schuldenkrise das Land im Griff hält.
Theater auf Griechisch
Theater auf Griechisch kann ich nur hier machen. Deshalb kann ich nicht gehen.
Die freie Kulturszene Griechenlands befindet sich gerade im Schwebezustand. Also haben wir Theaterleute uns als Mavili-Künstlerkollektiv zusammengeschlossen und das Embros-Theater im Athen besetzt. Das Theater wurde 2006 vom Kulturministerium geschlossen. Jetzt ist es unser Zentrum – eine basisdemokratische Bühne.
Anestis Azas, 33, ist freier Regisseur in Athen und Mitbegründer des Mavili-Kollektivs. Er wurde in Thessaloniki geboren und hat in Berlin studiert. Kleopatra Kyrimi, 26, arbeitet bei einem US-Konzern in Athen. Ihr Studium hat sie in Paris und New York absolviert. Natascha Siouzouli, 37, wurde in Larissa geboren. Ihre Jugend und ihre Studienzeit hat sie in Athen verbracht. Zurzeit arbeitet sie am Institut für Theaterwissenschaften an der Freien Universität Berlin.
Uns bietet Embros die Möglichkeit zu proben, uns auszutauschen und Stücke aufzuführen. Wir wollten ein Forum schaffen, um die allgemeine Stagnation des Denkens und Handelns zu beenden. Die Bewohner können kommen und sich unsere Stücke umsonst ansehen. Gerade arbeiten wir an einem Festivalprogramm für März, da sollen verschieden Stücke aufgeführt werden. Auch eine Theaterschule aus Amsterdam wird dabei sein.
Die griechische Gesellschaft hat sich politisiert, das spiegelt sich auch in den Programmwünschen wider. Das Publikum ist offen für einen breiteren sozialpolitischen Diskurs. Allerdings habe ich das Gefühl, dass sich das langsam wieder zurückentwickelt. Die Menschen in Athen gehen nicht mehr so oft aus dem Haus. Viele haben ihren Alltag verloren und sind sehr unsicher.
Eine Folge davon ist der Rassismus, der sich in Athen breitmacht. Der große Feind kann nicht besiegt werden, also sucht man den kleinen Feind auf der Straße. Früher war Athen ein kulturelles Zentrum. Die jungen Griechen sind alle in die Stadt gezogen, ähnlich wie in Berlin. Davon ist jetzt nicht viel übrig. Es gibt wenig Möglichkeiten, der Armut zu entkommen. Die jungen Leute resignieren oder werden aggressiv.
Ich persönlich bin für die Idee der EU, aber so wie Europa gerade funktioniert, tut es den Europäern nicht gut. Das ist weit weg von Demokratie. In Griechenland hatten wir nie ein gut organisiertes System oder Parlament, es gab immer viel Vetternwirtschaft. Ein paar wenige haben sich bereichert und das Land in den Ruin geführt. Die Konsequenzen muss das arbeitende Volk tragen.
Ich weiß nicht, wie es weitergehen soll. Einerseits wollen wir nicht aus der EU austreten, weil wir Angst vor dem haben, was passieren könnte. Andererseits führt die jetzige Lage nur dazu, dass sich die Gesellschaft spaltet. Die Läden sperren zu und immer mehr Leute werden entlassen. Ich frage mich, ob das der richtige Weg ist, um eine Gesellschaft zu stabilisieren.
Und ich frage mich auch, ob Demokratie bei dieser Armut, die gerade in Griechenland herrscht, überhaupt funktionieren kann. Anestis Azas
Die Leute hungern
Sogar Familien mit kleinen Kindern leben auf der Straße. Im Dezember war ich noch in Athen. In den Straßen des Zentrums sieht man das Elend an jeder Ecke. Dort stehen überall Pappkartons, in denen Menschen leben. Obdachlose gab es früher auch schon, aber jetzt sind es so viele.
Die Kinder gehen morgens oft zur Schule, ohne gegessen zu haben. Das Bildungsministerium gibt den Schulen jetzt endlich Geld, nachdem Medien berichtet hatten, dass einige Schüler vor Hunger ohnmächtig wurden. Viele Eltern sind so verzweifelt, dass sie den Nachwuchs in SOS-Kinderdörfer schicken, ihnen fehlt einfach das Geld. Der Andrang ist enorm. Ich frage mich nur, wovon die denn die Kinder ernähren sollen? Die sind doch auch auf Spenden angewiesen.
Persönlich kenne ich niemanden, der obdachlos geworden ist, aber viele Freunde sind arbeitslos. Die ziehen wieder zurück zu ihren Eltern. Viele wandern auch aus. Griechenland ist kein Sozialstaat. Denn der Staat hilft uns nicht. Wir helfen uns. Ich finde es selbstverständlich, dass wir das tun, aber ich frage mich natürlich, wie es sein kann, dass der Staat seine Verantwortung allein auf uns abwälzt. Während die Leute auf den Straßen verhungern, leben die Politiker in ihrem Elfenbeinturm. Es ist frustrierend.
Die Menschen in Athen müssen sich selbst organisieren, um über die Runden zu kommen. Es ist schön zu sehen, dass es in der Bevölkerung so viel Solidarität gibt. Es gibt Tauschveranstaltungen und große Unternehmen organisieren mit der Kirche zusammen Sammlungen und Essensausgaben. Da kann jeder hinkommen. Es ist seltsam zu sehen, dass da auch Leute mit einem Apple-Laptop sitzen. Da entsteht ein ganz neues Bild von Armut.
Man merkt auch, dass der Rassismus in Athen mehr wird. Das war schon die letzte Jahre so, aber die Leute wollten es nicht sehen. In den Medien hört man auch jetzt wenig darüber, weil die Wirtschaft das große Thema ist. Ein Freund von mir wurde mitten im Viertel Exarcheia krankenhausreif geprügelt, weil er aus dem Sudan kommt. In einem Viertel von Athen, es heißt Patissia, gibt es nur noch Griechen. Da gehen Neonazis auf Patrouille und verjagen die Ausländer.
Vor zwei Jahren ist das zu Beginn der Krise eskaliert. Mein Mann lebt in Athen, er erzählt, das halbe Zentrum sei ausgebrannt. Mich macht das traurig, keiner und nichts hilft uns im Moment.
Ich weine viel. Ich bin zerrissen. Ich habe ein kleines Kind, das ich unter den herrschenden Umständen nicht in Griechenland großziehen will. Andererseits wäre ich gerne in Athen, um auf die Straße zu gehen und zu schreien. Natascha Siouzouli
Die Oma demonstriert neben dem Studenten
Die Leute mit Job werden bald vereinsamen, glaube ich. Man hat einfach einen anderen Rhythmus. Eine Zweiklassengesellschaft in derselben Generation. Die mit Job werden sich immer als etwas Besseres sehen, als die ohne. Das ist die menschliche Natur, man will sich immer selbst auf die Schulter klopfen.
Ja, es ist Krise, aber ich habe auch einen Job. Du könntest das auch schaffen. Ich weiß, das ist unfair.
Ich arbeite für ein amerikanisches Unternehmen in Athen. Zuvor hatte ich es natürlich auch im Ausland versucht und wurde bei den Bewerbungsgesprächen diskriminiert. Ob es an meiner griechischen Herkunft liegt? Keine Ahnung, aber mir wurde bei den Absagen erklärt, dass sie Leute suchen, die sich an Orten mit internationalen Institutionen, wie Brüssel oder Wien, besser anpassen können. Absurd!
Die haben versucht, mir zu erklären, dass jemand von irgendeiner scheiß Uni sich besser in Brüssel anpassen kann. Ich habe in sieben verschiedenen Städten der Welt gelebt und an zwei international sehr namhaften Universitäten studiert. Wahrscheinlich müsste man skandinavischer aussehen. Der Grieche wird in den ausländischen Medien als faul, unkreativ und korrupt porträtiert. Das stimmt aber nicht! Ich habe auch in Frankreich gearbeitet und die Franzosen sind bei der Arbeit keine Spur produktiver oder engagierter als wir Griechen.
Fünfzig Prozent der Griechen in meinem Alter sind arbeitslos. Darunter viele Freunde. Alles hervorragend ausgebildete Leute, die arbeiten wollen. Manche beginnen jetzt ein weiteres Studium, andere versuchen einen Job im Ausland zu ergattern, was wie gesagt eher schwierig ist. Meine Schwester und ich müssen nicht weggehen, weil wir nicht arbeitslos sind. Glück gehabt.
Denn jeder ist von der Krise betroffen. Ich habe Freunde aus wohlhabenden Familien, die jetzt vor dem Nichts stehen. Diese Leute wissen nicht, wie es ist, arm zu sein, wie man mit wenig auskommt oder überhaupt mit Geld umgeht. Natürlich schämen sie sich!
Ich sage das nicht, weil ich irgendwelche bourgeoisen Ideale bewahrt haben will. Bei den staatlichen Essensausgaben sieht man Anwälte, Ärzte, Architekten. Das ist unglaublich. Diese Leute sehen nicht aus wie faule Menschen.
Nun demonstriert die Perlenohrringe tragende Oma neben dem hoffnungslos Arbeit suchenden Jungakademiker und die Regierung versucht das vor dem Rest der Welt zu verstecken. Deshalb ist die Polizeigewalt beiden Demonstrationen enorm. Niemand soll erfahren, wie furchtbar das Leben hier ist. Kleopatra Kyrimiei
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