Dramatische Haushaltslage: Kommunen auf dem Trockenen
Städte und Gemeinden warnen vor dem Finanzkollaps. Geringere Einnahmen und steigende Sozialausgaben sorgten 2010 für ein Rekorddefizit von 12 Milliarden Euro.
Mit zwei Zetteln machte Petra Roth deutlich, wie schlimm die Lage ist. Die Präsidentin des Deutschen Städtetages reckte ein Blatt mit einem Diagramm in die Kameras, das die steil ansteigenden Ausgaben der Kommunen für Soziales zeigten. Auf dem anderen Zettel prangte noch eine steil aufwärts weisende Kurve: die stark gestiegene Neuverschuldung der Kommunen. Roths Fazit: "Die schon seit Jahren bestehenden strukturellen Finanzprobleme vieler Städte spitzen sich zurzeit dramatisch zu." Die Kommunen hoffen nun auf Hilfe von Bund und Ländern.
Fürs laufende Jahr befürchtet der Städtetag ein Rekorddefizit der Kommunen von insgesamt 12 Milliarden Euro. Das wäre deutlich mehr als die bisherige Rekordmarke von 8,4 Milliarden aus dem Jahr 2003. Auch für 2011 bis 2013 rechnen die Kommunen mit Defiziten von mehr als 10 Milliarden Euro pro Jahr.
Das hat laut Städtetag mehrere Gründe. Zum einen hätten die Kommunen besonders stark unter den Folgen der Wirtschaftskrise gelitten. Insgesamt seien ihre Steuereinnahmen 2009 um zehn Prozent eingebrochen. Allein die für viele Kommunen sehr wichtigen Einnahmen aus der Gewerbesteuer seien im Schnitt um 17,4 Prozent geschrumpft. So nehme Frankfurt am Main in diesem Jahr 25,4 Prozent weniger Steuern ein als 2008. In Stuttgart seien es minus 25,9 Prozent, in Wolfsburg sogar minus 43 Prozent.
Zugleich litten die Kommunen unter stetig steigenden Lasten. Seit 1992 haben sich die Kosten der Kommunen für soziale Leistungen auf 40 Milliarden Euro fast verdoppelt. Zu den größten Brocken zählten die Unterkunftskosten für Langzeitarbeitslose, das Kindergeld und die Kosten für den organisatorischen Umbau der Jobcenter. Diese Sozialausgaben hätten "Bund und Länder zu Lasten der Kommunen immer weiter ausgeweitet", klagte Roth. Und der Hauptgeschäftsführer des Städtetags, Stephan Articus, ergänzte, die daraus folgende Verschuldung der Kommunen erfolge "immer schneller".
Um die vom Bund geplante Ausweitung der Betreuungsangebote für unter Dreijährige bis 2013 zu meistern, hoffen Roth und Articus auf zusätzliches Geld von Bund und Ländern. Erste Hilfe soll "in Kürze" ein Gespräch mit Bundesinnenminister Wolfgang Schäuble (CDU) bringen. Die politische Entscheidung, Betreuungsplätze für 35 Prozent der Kleinkinder einzurichten, habe eine Eigendynamik entwickelt, erklärte Articus. 46 Prozent aller Eltern wünschten sich laut Statistischem Bundesamt mittlerweile professionelle Betreuung für ihren Nachwuchs. Darauf müssten die Kommunen reagieren.
Angesichts dieser Notlage hofft der Geschäftsführer des Städtetags auf die Umsetzung einer alten Forderung: "Wir wollen als Kommunen beteiligt werden an der Kostenfolgenabschätzung bei neuen Gesetzen."
Der finanzpolitische Sprecher der Linke-Fraktion, Axel Troost, forderte "Soforthilfen des Bundes" und eine Abkehr von der "extrem konjunkturabhängigen Gewerbesteuer".
taz lesen kann jede:r
Als Genossenschaft gehören wir unseren Leser:innen. Und unser Journalismus ist nicht nur 100 % konzernfrei, sondern auch kostenfrei zugänglich. Texte, die es nicht allen recht machen und Stimmen, die man woanders nicht hört – immer aus Überzeugung und hier auf taz.de ohne Paywall. Unsere Leser:innen müssen nichts bezahlen, wissen aber, dass guter, kritischer Journalismus nicht aus dem Nichts entsteht. Dafür sind wir sehr dankbar. Damit wir auch morgen noch unseren Journalismus machen können, brauchen wir mehr Unterstützung. Unser nächstes Ziel: 40.000 – und mit Ihrer Beteiligung können wir es schaffen. Setzen Sie ein Zeichen für die taz und für die Zukunft unseres Journalismus. Mit nur 5,- Euro sind Sie dabei! Jetzt unterstützen
meistkommentiert
Hype um Boris Pistorius
Fragwürdige Beliebtheit
Papst äußert sich zu Gaza
Scharfe Worte aus Rom
SPD-Linker Sebastian Roloff
„Die Debatte über die Kanzlerkandidatur kommt zur Unzeit“
BSW stimmt in Sachsen für AfD-Antrag
Es wächst zusammen, was zusammengehört
Russischer Angriff auf die Ukraine
Tausend Tage Krieg
Urteil nach Tötung eines Geflüchteten
Gericht findet mal wieder keine Beweise für Rassismus