Doris Akrap Geraschel: Stop the Wassermelonen-War!
Haben Sie schon mal vom Wassermeloneneffekt gehört? Nein, damit ist nicht gemeint, dass dieses Obst in Form von Luftmatratzen, Girlanden, Kuschel- und Dekokissen, auf Feuerzeugen und anderen Plastikprodukten die wahrscheinlich meistappropriierteste Frucht der Welt ist.
Mit Wassermeloneneffekt wird das Verhalten von Mitarbeiter*innen beschrieben, die aus Angst vor einer autoritärfiesundgemeinen Unternehmensführung die Wahrheit verschweigen: Den alarmierenden Istzustand (rot) eines Projektes kommunizieren sie so beschönigend in die Chefetage, dass die da oben glaubt, im Laden unten liefe alles im grünen Bereich.
Schon schräg, dieses Phänomen ausgerechnet nach der Wassermelone zu benennen. Deren Witz funktioniert doch in genau entgegengesetzter Richtung: Wer zum ersten Mal ins Antlitz einer Wassermelone schaut, sieht eine klobige, an das Ei eines Aliens erinnernde und nicht vielversprechend appetitlich aussehende Riesenbohne. Wer aber hinter der verhornten Elefantenhautschale des dreckig grünen Giganten das einzigartige wassermelonenrote innere Wunder entdeckt und in sein wassermelonensaftiges und wassermelonensüßes Fleisch beißt, hat ein Eins-a-Hosiannaerlebnis. Zumindest ging mir als Kind beim Anblick des grün-weiß-roten Wunders ein Licht auf, weil ich nun verstanden zu haben glaubte, dass hinter dem Ave Maria – „Gebenedeit ist die Frucht deines Leibes“ – die Wassermelone steckte.
Der Geschmack von Wassermelone ist wie wenig anderes der Geschmack von Sommerferien am Mittelmeer. Vor ein paar Wochen erschien mein Reisebuch über Dalmatien. Auf grünem Grund sieht man auf dem Titel einen Esel mit Olivenbauer, eine Sonne und drei dreieckige Stücke Wassermelone. Die Reaktionen von Kolleg*innen und Bekannten sind immer gleich: O, was für ein schönes Cover – aber was hat denn Dalmatien mit Palästina zu tun?
Paläst…? O no! Kein einziger Wassermelonenkern hat mich bei den Titeldiskussionen mit dem Verlag daran erinnert, dass die Wassermelone ideologische Kampffrucht geworden ist, die mit Terror und Vernichtung, mit Befreiung und Widerstand assoziiert wird. Beim Anblick der Wassermelone auf dem Buchtitel hatte ich nur gedacht: O Wassermelone, was bist du doch für ein schönes Wesen. Überhaupt nicht hatte ich auf dem Schirm, dass sich Leute von Wassermelone bedroht fühlen, von ihr in Alarmzustand versetzt werden oder mit ihr Terror legitimieren. Die einzige Frage, die ich mit meinem Verlag diskutierte, lautete: Wassermelone oder Mercedes? Letzterer kommt in Form eines in Stein gehauenen Gastarbeiterdenkmals ebenfalls im Buch vor.
Hier erscheinen zwei Kolumnen im Wechsel. Nächste Woche: „Grauzone“ von Erica Zingher
Aber auch wer keine Wassermelone aufm Cover hat, sollte sich meiner Bewegung „Reclaim the Wassermelone“ anschließen. Es kann nicht sein, dass das fantastischste Früchtchen dieser Erde ideologisch verhackstückt wird. Idee für den Kampagnenslogan: „Wir sind hier, wir sind laut, weil ihr uns die Wassermelone klaut!“
Leider hat die Wassermelonen-Eskalationsspirale diese Woche meine in ihren Anfängen steckende Bewegung torpediert. Nach heftigen Vorwürfen („zynisch und menschenverachtend“) hat der Wirt des israelischen Restaurants Feinberg’s in Berlin seinen Drink mit „zerhackstückten“ Wassermelonen und Israelfahne damit begründet, dass die Wassermelone für ihn das „neue Hakenkreuz“ symbolisiere.
Nee, klar, da arbeitet man an der Entideologisierung, und zack: Hakenkreuzvergleich. Dabei wäre der Wassermelonenfrieden so einfach zu haben: Aus ihr lässt sich beispielsweise ein veganer Mettigel machen, und wer unbedingt eine Fahne mit ihr assoziieren will, steckt einfach eine Flasche Wodka in sie rein und trinkt sie aus. Holen wir uns das Obst zurück: Freiheit für alle politischen Wassermelonen! Aufruhr, Widerstand – Wassermelonen gibt es in jedem Land!
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