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Domscheit-Berg über Grüne und Piraten„Die Piraten sind noch in der Pubertät“

Die Exgrüne und Neupiratin Anke Domscheit-Berg über Basisdemokratie, kostenlosen Nahverkehr, Open Government und ihre Karriereaussichten.

„Irgendwann wird Kontinuität zur Falle und zur Barriere für Erneuerung.“ – Anke Domscheit-Berg über den Abschied der Grünen von der Rotationspolitik. Bild: dpa
Heide Oestreich
Interview von Heide Oestreich

taz: Frau Domscheit-Berg, Sie wechseln von den Grünen zu den Piraten. Was können die, das Ihre alte Partei nicht kann?

Anke Domscheit-Berg: Die Piraten leben Basisdemokratie konsequent auf allen Ebenen, so wie Grüne früher. Wenn jemand länger in einer hohen Position ist, verändert er sich. Deshalb gab es bei den Grünen das Rotationsprinzip. Jetzt haben wir seit vielen Jahren die gleichen Personen an der Spitze: Trittin, Özdemir, Roth und Künast.

Es gab aber Gründe für die Abschaffung des Rotationsprinzips: Effizienz, Kontinuität, Kompetenz.

Man muss ja nicht jedes Jahr wechseln, sondern kann alle zwei Jahre zwei Personen austauschen. Irgendwann wird Kontinuität zur Falle und zur Barriere für Erneuerung.

Stimmt bei den Grünen die Form, oder stimmen auch die Inhalte nicht mehr?

Es geht auch um Inhalte. Zum Beispiel kritisieren Grüne: „Die Piraten wollen kostenlosen Nahverkehr“, das ist zum einen sachlich falsch, er soll nicht kostenlos, sondern fahrscheinlos werden. Zum anderen sind dann also Grüne gegen die Förderung von öffentlichem Nahverkehr. Da werden nur aus wahlkampftaktischen Gründen grüne Inhalte verraten.

Zudem habe ich von Grünen in Regierungsverantwortung mehr Umsetzung erwartet. Ich habe monatelang das rot-grüne Koalitionsprogramm zu Open Government in NRW gepriesen. Ein Open-Data-Portal wäre schnell umsetzbar. Und? In knapp zwei Jahren an der Regierung ist es immer noch nur ein Plan. Die Piraten dagegen haben im Berliner Bezirk Kreuzberg-Friedrichshain, der übrigens grün regiert ist, in kürzester Zeit durchgesetzt, dass Ausschusssitzungen öffentlich sind.

Bild: dpa
Im Interview: Anke Domscheit-Berg

geboren 1968, studierte Textilkunst und Betriebswirtschaft und arbeitete bis 2011 für Microsoft. Heute ist sie Unternehmensberaterin und streitet für mehr Frauen im Management.

Das könnte man unter Anfangseuphorie verbuchen.

Die Piraten sind als Partei noch in der Pubertät. Sie sind dadurch viel radikaler in ihren Ideen und überlegen nicht 500.000-mal, wie sie sie umsetzen. Das gefällt mir, denn dadurch werden Ideen schneller Realität.

Wieso trauen Sie den Grünen keine Erneuerung zu?

Vielleicht verändern sie sich ja – auf Druck der Piraten.

Dann könnten Sie doch bei den Grünen bleiben. Der Erfolg der Piraten wirkt ja doch eher wie ein Strohfeuer.

Aber ich mache lieber aus dem Strohfeuer ein richtiges Feuer. Bei den Grünen von innen für Bewegung zu sorgen ist mir zu anstrengend und zu wenig aussichtsreich. Ich glaube, ich kann bei den Piraten politisch einfach mehr erreichen.

Sind die Karriereaussichten bei den Piraten besser?

Ich strebe keine Karriere bei den Piraten an. Ich habe jetzt als freie Unternehmerin ein prima Leben und möchte ungern wieder eine fremdgesteuerte 80-Stunden-Stelle. Für ein Parteiamt müsste man mich schon sehr breitschlagen.

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10 Kommentare

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  • R
    reblek

    "Wenn jemand länger in einer hohen Position ist, verändert er sich." - Nach meiner Erfahrung wohl eher nicht. Die Leute bleiben, wie sie waren, und streben, wie Fischer, Trittin und Konsorten, nach nichts anderem als nach Karriere. Dafür darf es dann schon mal ein völkerrechtswidriger Angriffskrieg, den Frau Domscheit-Berg merkwürdigerweise nicht erwähnt, sein oder auch ein bisschen "Reform" der Sozialgesetzgebung, die nach einem verurteilten Straftäter benannt ist, einem guten Freund von Herrn Schröder, dem "lupenreinen Demokraten".

    "...seit vielen Jahren die gleichen Personen an der Spitze..." - Wohl eher von denselben.

  • R
    reblek

    "Wenn jemand länger in einer hohen Position ist, verändert er sich." - Nach meiner Erfahrung wohl eher nicht. Die Leute bleiben, wie sie waren, und streben, wie Fischer, Trittin und Konsorten, nach nichts anderem als nach Karriere. Dafür darf es dann schon mal ein völkerrechtswidriger Angriffskrieg, den Frau Domscheit-Berg merkwürdigerweise nicht erwähnt, sein oder auch ein bisschen "Reform" der Sozialgesetzgebung, die nach einem verurteilten Straftäter benannt ist, einem guten Freund von Herrn Schröder, dem "lupenreinen Demokraten".

    "...seit vielen Jahren die gleichen Personen an der Spitze..." - Wohl eher von denselben.

  • T
    Thomas

    ganz deiner meinung !!

  • B
    Branko

    Ich weiss ehrlich gesagt auch noch nicht, wen ich bei der nächsten Bundestagswahlen wählen soll.

    Aber ich weiss, wen definitiv auf gar keinen Fall nicht:

    CDU, FDP, SPD, Grüne

     

    Was sie versprechen interessiert mich nicht mehr.

    Wir haben mehrmals erlebt, was sie real machen.

    Und das darf sich auf keinen Fall wiederholen oder fortsetzen.

     

    In Zeiten, die nach politischer Veränderung schreien,

    sind mir rebellische Pubertierende allemal lieber,

    als senile Geronten, deren einzige Zuverlässigkeit darin besteht, möglichst so lange geriatrisches Parlamentarier-Mikado zu pupsen,

    bis die gewünschte Anzahl Aufsichtsratsposten gesichert ist, während sie die Gegensätzlichkeit ihrer Gesetze zu ihren Wahlversprechen und Programmen nicht als shizophrene Paradoxien sondern als Realpolitik bezeichnen.

  • WH
    Werner Heck

    Es nervt wirklich, diese ewigen Behauptungen, die Piraten hätten nun endlich für die Öffentlichkeit der Ausschusssitungen gesorgt. Ich bin kulturpolitisch engagiert, seit einem Jahr Bürgerdeputierter im Ausschusss für Kultur und Bildung in Friedrichshain -Kreuzberg. Aber auch davor war ich regelmäßig da, hatte zwar kein Stimmrecht, durfte aber Fragen stellen, wurde gehört und ich war da nicht der Einzige. Die Sitzungen sind seit eh öffentlich, da gab es die Piraten noch gar nicht. Die Behauptung, die Piraten hätten für die Öffentlichkeitbgesorgt ist schlichtweg falsch, und mal wieder der Versuch, sich die Arbeit anderer anzueignen. Und die Frau Domscheidt sollte dies eigentlich wissen. Dumm oder dreist???

  • DN
    Dropped Name

    Hm, wenn das so weiter geht, mach' ich mal 'ne Studie über die statistische Frequenz bestimmter Namen in der TAZ. Anke Domscheit-Berg z.B. glaub' ich taucht hier vergleichsweise häufig auf. Ich weiß nur nicht warum?

  • E
    eva

    Die Piraten sind noch in der Pubertät -?

     

    Eben. Und Pubertierende dürfen zu Recht nicht wählen.

     

    Und sind erst recht nicht wählbar.

     

    Das haben Sie gut erkannt, Frau Sowieso.

  • HL
    Herr Lehmann

    Aber wenn der Vorsitzende sein Amt mit dem Vize tauscht, nur 2000 von 28000 Piraten über den Vorsitz abstimmen (ahoi Basisdemokratie, da ist die CDU mit Merkel schon weiter gewesen)

    und in Berlin geheime Vorstandstreffen anberaumt werden, über deren Zustandekommen und Inhalt aus wahltaktischen Gründen geschwiegen wird, um danach erst die Posten zu verschieben, dann ist das alles so viel besser als bei den Grünen.

     

    Hach, und es ist ja sooooo sympathisch alles zu fordern, ohne zu sgaen, wie das gehen soll und es ist ja soooo innovativ ohne fahrschein Bahn zu fahren, vielleicht sollte ich auch Pirat_in werden, dann brauch ich nicht mal mehr das _in....

  • J
    Jan

    Der Interviewer kann nicht grüner werden! xD

  • B
    Branko

    Essattemente!

     

    Wir (die mündigen Wähler und Bürger) wollen weder darüber diskutieren, wer mit wem koaliert, noch mit den Personenkulten beschäftigt werden, wer denn nun der sympathischere und durchsetzungsstärkere Parteiführer wäre und auch keine heisse Luftblasen wie "Wir haben die Kraft" wählen.

     

    Wir wollen konkrete Punkte wählen:

    "Atomkraftwerke Ja/Nein", "ÖPVN ohne Fahrkarte Ja/Nein", "Steuermodell A/B/C...", "Krieg?",.... bzw. darüber diskutieren.

     

    Wenn die Piraten deswegen als pubertär gelten, können die anderen Parteien als geriaträr bezeichnet werden.

     

    Und, liebe Grüne, welchen Reifegrad misst man einer Partei zu, die für Entschärfung des Sozialabbaus, für Frieden und zur Abschaffung der Kernenergie gewählt worden ist, die dann Tyrannoheuschrecken züchten, Deutschland an seinem ersten Angriffskrieg nach 1939 beteiligen und den Energiekonzernen die Sicherheitsupdates für ihre KKW schenken, ohnen den Auststieg aus dem Ausstieg zu ermöglichen und das dann als "Realpolitik" bezeichnen?

     

    Senil?

     

    Da wähle ich doch lieber Pubertierende.

    Die wollen nämlich etwas verändern.

    In Zeiten wo sich was ändern muss, sind die immer noch besser geeignet als senile Geronten, die einfach nur ihre Ruhe in ihrem durchgesesessen Parlamentssessel wollen.

     

    ------------------------------

     

    Danke für dieses Interview.